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Die erstere, nach welcher die Behörde eines Einzelstaats ihre
Zuständigkeit dem Reiche gegenüber nach denselben Regeln wie
ihre Zuständigkeit dem Heimatsstaate gegenüber beurteilt, hat
den Vorteil der grösseren Einfachheit.
Trotzdem schliesse ich mich der zweiten Ansicht an; denn
das Reich steht in einem jeden Staate wie eine ausländische Per-
sönlichkeit da, und es ist daher richtig, wenn die Landesbehörden
dem Reiche gegenüber dasjenige Recht auch für die Zuständig-
keit in Anwendung bringen, auf welches ihre international-recht-
lichen Bestimmungen verweisen.
III. Die Gewalt der Tatsachen wird aber vermutlich eine
andere Lösung der Frage herbeiführen. Die Rechtsprechung des
Reichsgerichts wird voraussichtlich einer Vereinheitlichung des
dem Reiche gegenüber anzuwendenden Rechts zuneigen. Möglich
ist, dass die staatsrechtlichen Grundsätze des führenden deutschen
Staats, weil ihm die Mehrzahl der Mitglieder des Reichsgerichts
angehört, dem Reiche gegenüber das Uebergewicht erlangen wer-
den 5%. Wahrscheinlicher ist aber die Entwicklung, dass das
Reichsgericht im Sinne einer Vereinheitlichung immer mehr die
gerichtliche Zuständigkeit in den das Reich betreffenden Fragen
bejahen wird. Auch folgert die Entscheidung des Reichsgerichts
vom 2. Februar 1884 (Bd. 11 S. 67—75) aus der Begründung
des Entwurfs zum Gerichtsverfassungsgesetze, es sei in Deutsch-
land schon in dem Jahrzehnte vor Gründung des Deutschen Reichs
das Bewusstsein wach geworden, dass die Gerichte berufen seien,
vermögensrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, auch wenn Nor-
men des öffentlichen Rechts anzuwenden seien. Denn ihre un-
abhängige Stellung, Rechtskenntnis und Uebung in der praktischen
Rechtsanwendung gebe die denkbar grösste Garantie für eine
objektiv gehaltene, sachgemässe Entscheidung. Das Ansehen des
Reichsgerichts wird daher vermutlich eine Ausdehnung der gericht-
lichen Zuständigkeit dem Reiche gegenüber herbeiführen.
60 Orro MAYER, Deutsches Verwaltungsrecht Il 8 62 Anm. 24. 1816 Anm. 10.