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älteren Völkerrechtsliteratur fast durchweg herrschenden Anschau-
ung, dass der Seeraub ein „crimen humani generis“ sei, das den
Täter ächte und der Verfolgung jedes beliebigen Dritten aussetze,
ist hier ebenso wenig weiterzukommen, wie mit der von STIEL
zur Grundlage seiner Abhandlung gemachten juristisch nicht zu
begründenden Bemerkung, dass „die seefahrenden Nationen sich
zur Repression der unter dem Namen der Piraterie begrifienen
Tatbestände rechtlich verpflichtet“ erklären!?. Das Gleiche könnte
man auch von der Unterdrückung des Sklavenhandels oder von
der in neuester Zeit erst geregelten Bekämpfung des Mädchen-
handels behaupten; in beiden Fällen hat sich gezeigt, dass weder
die allgemein anerkannte Verwerflichkeit des Unternehmens, noch
die angeblich vorhandene „rechtliche Verpflichtung“ der Nationen,
die man für beide Fälle mit dem gleichen Rechte als vorhanden
hinstellen könnte und müsste, wie für den Seeraub, auch nur im
geringsten genügt haben, um geordnete Rechtszustände zu schaffen.
Es hat hierfür vielmehr erst einer ganzen Anzahl von Staats-
verträgen bedurft, auf deren Grundlage sich die erforderliche
Einheit des Verfahrens in den einzelnen Staaten erzielen liess.
Da sich nun Rechtssätze des Völkerrechtes unabhängig von
dem Rechte der einzelnen Staaten, oder diesem etwa entgegen-
gesetzt, nicht bilden können, so lässt sich hiernach eine positive
Grundlage für die völkerrechtliche Behandlung des Seeraubes nur
gewinnen, wenn sich nachweisen lässt, dass das in der Literatur
fast allgemein behauptete Vorgehen gegen Seeräuber -— Anhalten
und Durchsuchung des Schiffes auch im Frieden, Festnahme von
Schiff und Mannschaft, Strafbefugnis jedes Staates gegenüber dem
„vogelfreien“ Seeräuber — sich auf eine allgemein gleichgerichtete
Rechtsübung der Staaten stützt, die ihren Grund in einer ent-
12 y, MARTITZ, internat. Rechtshilfe in Strafsachen I, 66. Der hierin
liegende Gedanke kann lediglich als Motiv, nicht aber als Rechtsgrund in
Frage kommen. Den Nachweis zu führen, worin die „rechtliche Verpflichtung“
besteht, wird v. MArTITZ kaum in der Lage sein.