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STIEL an anderen Stellen von einem anderen Gesichtspunkte dahin
aus, dass der Staat ein Schiff aus beliebigen Gründen „durch
Entziehung des Schutzes der Flagge allgemeiner Verfolgung aus-
setzen“ könne, dass er insbesondere im Falle einer Revolution
Nationalschiffen dadurch den Schutz der Flagge entziehen könne,
dass er sie „mit der Absicht, sie allgemeiner Verfolgung aus-
zusetzen, für Piraten erklärt“ %. Der Grundgedanke, der hierin
liegt, ist völkerrechtlich unzulässig; die Konsequenzen, die sich
hieraus ergeben, müssen schon darum unbedingt abgelehnt werden.
Erkennt man den Satz, dass kein Staat die Integrität eines
anderen Staates stören darf, für das Völkerrecht als gültig an ®”,
so folgt hieraus zunächst einmal, dass der Staat für seine Untertanen
nach dieser Richtung hin einzustehen hat, dann aber ebenso,
dass er sich dieser Verpflichtung einseitig unter
keinen Umständen dadurch entziehen kann, dass
er Staatsangehörige, die sich gegen diese Vor-
schrift vergangen haben, aus seinem Staatsver-
hande ausscheidet. Das gilt für das Völkerrecht ganz
allgemein, auch für die Lehre von der Piraterie, für die in dieser
Hinsicht ein Rechtsgrund, der eine besondere Behandlung recht-
fertigen oder verlangen würde, im geltenden Völkerrechte nicht
aufzufinden ist. Die Behauptung STIELSs °, dass die Denationali-
sierung des Seeräuberschiffes für den Staat „das Aufgehen der
speziellen Pflicht des Heimatstaates zur Aufrechterhaltung einer
Rechtsordnung an Bord in der allgemeinen Pflicht der Repression
der Piraterie“ bedeute, ist, wie im vorstehenden dargelegt, gänz-
%a.2.0. 89, 893. Unverständlich ist, warum — wenn STIELS Stand-
punkt richtig wäre — die „Ablehnung der völkerrechtlichen Verantwortlich-
keit“ für die Handlungen solcher Schiffe nicht die gleiche Wirkung sollte
haben können, als die „Erklärung für Piraten“? Warum die Ablehnung
im ersten Falle einseitiger sein sollte, als die Erklärung im zweiten Falle,
ist nicht einzusehen,
6° Das tut auch STIEL a. a.0. 84.
2.2.0. 85.
Archiv für öffentliches Recht. XXI. 2. 20