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der Versuch gemacht, die Entstehung eines derartigen Satzes
aus den Quellen des Völkerrechts zu erweisen ’!, noch hat die
Praxis der von der Theorie behaupteten Verpflichtung in dem
Umfange Rechnung getragen, wie das geschehen sein müsste, wenn
der angebliche Rechtssatz in gleichem Umfange anerkannt wäre,
wie etwa die Vorschrift, dass Parlamentäre im Kriege unverletz-
lich sind.
Dagegen hat unter den an der Sicherheit des offenen Meeres
interessierten Staaten im Wege des Grewohnheitsrechtes der Satz
Anerkennung gefunden, dass das Einschreiten eines
Kriegsschiffes gegen Seeräuber anderer Natio-
nalität auf hoher See nicht als Nichtachtung
der Souveränität des betreffenden Staates und
somit nicht als Verletzung des Völkerrechtes
gilt ”. Insoweit haben die Staaten stillschweigend im seepolizei-
lichen Interesse auf die Wahrung ihrer Souveränität aus Gründen
des Allgemeinwohls verzichtet; man wird es heutzutage als einen
durch gewohnheitsrechtliche Uebung festgestellten Rechtssatz des
Völkerrechtes hinstellen können und müssen, dass jeder Staat
berechtigtist, aufhoher See gegen Seeräuber
ohne Rücksicht aufihre Staatsangehörigkeit
”ı Weder die Ansicht von PERELS 113, dass es die Aufgabe der Kriegs-
schiffe sei, „da einzuschreiten, wo die allgemeine Sicherheit auf See be-
troffen oder bedroht ist, und hier einen internationalen Rechtsschutz aus-
zuüben, für die gemeinsamen Interessen aller seeschiffahrttreibenden Nationen
einzutreten, denen der Pirat als Feind gegenübersteht“, noch die Behauptung
STIELS 67, dass die Piraterie eine gemeinsame Gefahr für alle Nationen sei,
und dass nur aus diesem Grunde es alle als Pflicht erkennen, zu seiner
Repression beizutragen, enthalten eine Spur eines juristisch verwertbaren
Nachweises. Die Behauptung SrtieLs würde z. B. für den Anarchismus in
genau derselben Weise zutreffen; dass die Piraterie deshalb, weil ihr Schau-
platz das offene Meer ist, einer besonderen Behandlung nicht bedarf, ist
schon oben dargetan worden.
72 So von diesem negativen Gesichtspunkte aus vornehmlich richtig
GAREIS bei v. HOLTZENDORFF II, 578.