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das rechtskräftige Urteil erhalten hat. Daher auch der Name
„materielle Rechtskraft, innere Rechtskraft“; er beruht ganz auf
dieser Auffassung: die formelle Rechtskraft ist die prozessuale
Wirkung, dass das Verfahren zu Ende ist; die materielle Rechts-
kraft ist die materiellrechtliche Wirkung, dass sachlich das Ver-
hältnis seine Ordnung gefunden hat.
Die juristische Konstruktion, die damit gemeint ist, kommt
zum Ausdruck in der alten Formel: res judicata jus facit.
Die materielle Rechtskraft ist „die Eigenschaft des Urteils, Recht
zu schaffen“ ®!, Sie ist die „autoritative normierende Gesetzes-
anwendung“ ®, Das Urteil wirkt durch diese seine normierende
Kraft für Einzelfälle ähnlich wie das Gesetz allgemeiner wirkt.
„Die staatlich rechtsbestimmende Kraft“ ist es, was das Urteil
„mit dem Gesetze gemein hat“ 3%. Das rechtskräftige Urteil wird
geradezu als „lex specialis“ bezeichnet ®. Diese Anlehnung an
das Gesetz soll insbesondere dazu dienen, die Unabänderlichkeit
und Unantastbarkeit der getroffenen Rechtsbestimmung anschau-
lich zu machen %,
So scheint die Zivilprozessrechtswissenschaft ein fertiges ge-
schlossenes System zu bieten; wir wollen auch nicht bestreiten,
dass sie für sich damit auskommen kann. Aber für die Ver-
waltungsrechtswissenschaft, die unter freieren und weiteren Ge-
sichtspunkten des öffentlichen Rechts arbeiten muss, trifit das
nicht mehr zu.
80 BuüLoWw in Arch. f. civ.Prax. Bd.83 S. 121, Ztscht. f. C.P. Bd. 31 S. 267, 270.
#91 BIRKMEYER, Stf.-Proz.-Ord. S. 673.
32 WACH in GRUCHOT, Beitr. Bd. 37 S, 480; derselbe, Rechtskraft S. 8;
ähnlich KıscH, Beiträge zur Urteilslehre S. 75.
8 BULOw in Arch. f. ceiv. Prax. Bd. 83 S. 64; HAENEL, deutsch. St.-R.
IS. 182: „Sein Ausspruch setzt sich zu dem objektiven Privatrecht in ein
Verhältnis, welches dem des authentisch interpretierenden Gesetzes zu dem
erläuterten Gesetze analog ist“.
%* SCHANZE in Ztschft. f. St.-R. 1884 S. 450; ENDEMANN, Prinzip der
Rechtskraft S. 127.
s5 BULOWw in Arch. f. civ. Pr. Bd. 83 S. 121.
no.
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