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Um das vorweg zu nehmen, so genügt der Vergleich mit
dem Gesetz in keiner Weise, um die Unabänderlichkeit des rechts-
kräftigen Urteils zu erklären. Vom Standpunkt des Zivilprozesses
aus mag das jeweils bestehende Gesetz als das Unabänderliche
erscheinen und behandelt werden; ist ja doch für den Richter
Grundsatz, bei seinen Entscheidungen niemals die Möglichkeit
einer Gesetzesänderung vorauszusetzen und zu berücksichtigen.
Aber in Wirklichkeit, das wissen wır sehr wohl, ist das Gesetz
für den, der es erlassen hat, nicht unabänderlich, und gerade
darauf kommt es ja beim rechtskräftigen Urteil an: dass es die
Untertanen und die Untergebenen bindet, ist nichts Besonderes,
aber dass das Gericht selbst und die ihm gleichwertigen anderen
Gerichte keine Gewalt mehr darüber haben, das ist das Beson-
dere ?°, und das wird durch diesen Zusammenhalt mit dem Ge-
setze eher erst recht auffallend, als dass es erklärt würde.
Vor allem aber: diese ganze normierende Kraft und gar die
lex specialis — wir kennen sie ja! Das haben wir in unserem
Verwaltungsakt, jenem Kern des neuen Verwaltungsrechts, Zi-
vilisten und Prozessualisten vielfach etwas allzu Neues, leider
auch manchem Publizisten noch nicht so vertraut, als er sein
sollte! Hat man nicht auch ihn lange Zeit unter dem Ehren-
titel lex specialis gehen lassen, weil man sich — gut zivilprozes-
sualistisch — die Sache nicht anders erklären konnte? Einteig-
nung, Eisenbahnkonzession, Anstellung im Staatsdienst wurden
mit Vorliebe so bezeichnet. Schaffen sie nicht Recht? Haben
sie nicht staatlich rechtsbestimmende Kraft? Polizeibefehle, Poli-
zeierlaubnisse, Steuerveranlagungen, Steuererlasse — sind sie
nicht autoritativ normierende Gesetzesanwendung? Sie bestim-
men nach unserer Ausdrucksweise sämtlich für den Einzelfall,
#6 Dass der Richter an die Entscheidung gebunden ist, das ist die Rechts-
kraft (GAupP-StEIN, Komment. z. C.P.O. S. 713); dass die Partei daran
oder vielmehr dadurch gebunden wird, ist die Kraft des obrigkeitlichen
Aktes überhaupt.