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die Verfassung eine Vorschrift des erwähnten Inhalts in aus-
drücklicher oder unzweideutiger Form enthielte, wie denn in
8 11 StGB. die Vorschrift des Art. 30 nicht wiederholt ist.
Dieses ist aber zweifellos nicht der Fall. Da der Inhalt des
Art. 30 jedenfalls die Befreiung der Mitglieder des Reichstags
vom Zeugnisse nicht klar hervortreten lässt, so wäre es ange-
zeigt gewesen, zur Beseitigung von Zweifeln hierüber eine Be-
stimmung in den Prozessordnungen zu treffen, wenn man der
Ansicht war, dass eine solche Befreiung begründet sei.
Noch aus einem andern Grunde hätte, wenn die Verfassung
des Reichs eine besondere Bestimmung über die Verpflichtung
der Mitglieder des Reichstags zum Zeugnis enthielte, diese in
der StPO. und in der CPO. nicht übergangen werden können.
Aus der RV. konnte sich nur für die Mitglieder des Reichstags
eine Befreiung von der Ablegung eines gerichtlichen Zeugnisses
ergeben. Wie man auch den Art. 30 auffassen mochte, auf die
Mitglieder der Landtage oder der Kammern der einzelnen Bundes-
staaten liess er sich jedenfalls nicht beziehen. Auf diese finden
die Bestimmungen der CPO. und der StPO. über die Ver-
pflichtung zur Zeugnisablegung jedenfalls Anwendung, auch wenn
die Verfassung des Staats, wie dieses z. B. in Württemberg nach
dem Gesetze vom 23. Juni 1874 Art. 185 der Fall ist, eine der
Vorschrift des Art. 30 gleichlautende Bestimmung enthält, denn
die Reichsgesetze gehen den Gesetzen der einzelnen Bundes-
staaten vor (Art. 2 RV.) und von dieser Vorschrift besteht für
die Verfassung der Einzelstaaten keine Ausnahme. Nun ent-
sprach es aber nicht der Tendenz der Reichsgesetzgebung und
den Anschauungen des Reichstags, die in den Verfassungen der
Einzelstaaten den Mitgliedern des Landtags und der Kammern
gewährte Immunität zu schmälern. Vielmehr suchte man da,
wo sich dazu Gelegenheit bot, in dieser Beziehung die Mitglieder
der einzelnen Landtage den Mitgliedern des Reichstags gleich-
zustellen. So war durch den $& 11 StGB. entsprechend der