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Verschwägerte und Verwandte, welche an sich zur Verweigerung
des Zeugnisses berechtigt sind, in gewissen Fällen ihr Zeugnis
nicht verweigern. Ein Mitglied des Reichstags, welches zu den
erwähnten Personen gehörte, würde sich der in diesem & vor-
behaltenen Zeugnispflicht dadurch entledigen, dass er die Ver-
hältnisse im Reichstage zur Sprache brächte, die Zeugnispflicht
würde überhaupt von Zufälligkeiten abhängen und unter Um-
ständen willkürlich vereitelt werden können. In 8 385 Abs. 2
OPO. ist ferner vorgeschrieben, dass Geistliche oder andere
Personen, welche zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, ihr
Zeugnis nicht verweigern dürfen, wenn sie von der Verpflichtung
zur Verschwiegenheit entbunden sind. Das Privilegium der
Reichstagsmitglieder würde weiter gehen, sie würden nicht von
der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden werden können.
Dieses Bedenken ist dem Abgeordneten WINDTHORST und seinen
(Genossen bei seinem Antrage im Reichstag nicht entgangen.
Nach dem Antrage sollte es nur unzulässig sein, einen Reichs-
tagsabgeordneten „wegen Aeusserungen über Tatsachen, welche
ihm in dieser seiner Eigenschaft mitgeteilt sind, und welche er
infolge dessen im Reichstag vorgetragen hat, einem Zeugnis-
zwangsverfahren zu unterwerfen“. In diesem beschränkten Sinn
kann der Art. 30 auch dann nicht aufgefasst werden, wenn man
in dem Zeugniszwangsverfahren ein Ziehen zur Verantwortung
im Sinne desselben finden will. Von solchen Beschränkungen,
wie sie im WINDTHORSTschen Antrag erwähnt werden, findet sich
keine Andeutung. Man kann eine solche beschränkte Exemtion
von der Zeugenpflicht, wie der Antrag sie für begründet hält,
aus dem Art. 30 nur herleiten, wenn man annimmt, dass in dem
Artikel allgemein die zeugeneidliche Vernehmung eines Reichs-
tagsmitglieds wegen der von ihm in seinem Beruf getanen
Aeusserungen untersagt werde.
Die Exemtion würde übrigens auch noch in anderer Weise
irrationell sein. Es würden trotz einer solchen die Mitglieder