— 388 0 —
die Beispiele, die JELLINRK selbst gibt. Er führt die Konven-
tionalregel an, dass jedes Kabinettsmitglied Parlamentsmitglied
sein soll, konstatiert aber, dass GLADSTONE vom Dezember 1845
bis Juli 1846 ohne Sitz im Unterhause war — eine Singularität,
die, weil sie nicht als Rechtsbruch empfunden wurde, als ein
Beweis für die Nachgiebigkeit jener Regel gelten soll. Zum
besseren Verständnis sei bemerkt ®), dass GLADSTONE im Dezember
1845 die Ernennung zum Staatssekretär der Kolonien annahm,
hiedurch im Sinne der englischen Inkompatibilitätsvorschriften
seinen Sitz im Unterhause verlor, jedoch auf eine Wiederwahl
gegen den Herzog von Newcastle nicht hoffen konnte. Jene
Konventionalregel, die ihre Spitze offenbar gegen die Krone
kehrt, würde also in ihrer Anwendung auf einen derartigen Fall
lauten: Du bist verpflichtet, ein Kabinettsmitglied, das seinen
Sıtz im Unterhause dauernd verloren hat, zu entlassen. Wäre
nun diese Regel dispositiver Natur, so müsste der Krone zu-
gleich die Befugnis eingeräumt sein, sie durch einen auf Nicht-
entlassung gerichteten Willensakt ausser Anwendung zu setzen,
mit andern Worten: die Krone hätte eine Verpflichtung, von
der sie sich selbst entheben kann, sie wäre zur Entlassung zu-
gleich verpflichtet und nicht verpflichtet — was wohl die Unbhalt-
barkeit der Prämisse ausser Zweifel setzt. Von dispositivem
Rechte im Sinne JELLINEKs könnte man nur sprechen, wenn in
einem derartigen Falle der Amtsverlust ipso jure eintreten würde,
aber durch einen gegenteiligen Willensakt der Krone vermieden
werden könnte. Ganz ähnlich steht es mit JELLINEKs zweitem
Beispiel: der Premierminister soll Erster Lord des Schatzes sein,
SALISBURY tritt an die Spitze seines Kabinetts als Staatssekretär
des Auswärtigen. Die Krone kann nicht verpflichtet sein, dem
Premier das erstgenannte Amt zu verleihen und zugleich die
Freiheit haben, ihn statt dessen zu einem anderen Amt zu be-
® Aus der biographischen Skizze in Meyers Konversations-Lexikon.