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die sachlich gleichfalls hieher gehörige Frage des Sanktions-
rechtes des parlamentarisch regierenden Monarchen berührt.
Wenn er erwähnt, dass in Belgien trotz seines streng parlamen-
tarıschen Regimes vereinzelte Fälle unterbliebener Sanktion vor-
gekommen sind, so hätte er konsequenterweise auch hier von
einem dispositiven Staatsrecht sprechen müssen. Von unserem
Standpunkte können wir nur sagen, dass auch hier eine mittel-
bare Rechtspflicht vorliegt, dass der Monarch rebus sic stantibus
zur Erteilung der Sanktion verpflichtet ist, dass aber diese Ver-
ptlichtung, ohne dass es einer auclı nur stillschweigenden Aende-
rung des Verfassungsrechtes bedürfte, aufhört, sobald eine ent-
sprechende Aenderung in den tatsächlichen Machtverhältnissen
eingetreten ist. Die von JELLINEK angeführten Beispiele unter-
bliebener Sanktion scheinen wie erfunden, um unsere Ansicht zu
bestätigen; denn sowohl 1845 als 1884 war, nachdem die belgi-
schen Kammern die fraglichen Gesetzentwürfe angenommen
hatten, ein solcher Umschwung in der Sachlage eingetreten, dass
die Krone die Gewissheit hatte, durch Unterlassung resp. Ver-
weigerung der Sanktion dem nunmehrigen Willen der Kam-
inern zu entsprechen. Die Nichtsanktionierung war das einzige
Mittel geworden, um parlamentarisch weiter zu regieren.
Wir haben schon erwähnt, dass Dıcey die Konventional-
regeln den Rechtssätzen gegenüberstellt, während wir sie für
eine besondere Art von Rechtssätzen erklärt haben. Die Be-
gründung, die er seiner Ansicht gibt, ist seltsam genug: er
meint, sie seien deshalb keine Rechtssätze, weil ihre Verletzung
nicht Gegenstand einer Beschwerde vor den Gerichtshöfen sein
könne und von diesen überhaupt nicht beachtet werden dürfe,
wogegen von HATSCHEK !° eingewendet wird, dass doch auch das
Unterhaus ein Gerichtshof sei. Jedenfalls würden nach DIcEY
auch alle leges imperfectae des Verfassungsrechtes aus dem
'® Englisches Staatsrecht S. 546 Note 1.