— 407 —
bar geltendes Recht zu erklären, wie denn auch DIcEY und
BRYCcE einzelne Geschäftsordnungsvorschriften, z. B. die, dass
im englischen Unterhause jede Bill mehreremale gelesen werden
muss oder dass im Kongress die Geschäfte in der Hauptsache
durch ständige Ausschüsse geführt werden, unter den Konventional-
regeln anführen. Allein so gross naturgemäss die Freiheit ist,
mit der jede Kammer einer solchen Geschäftsordnung gegen-
übersteht und so leicht diese daher den wechselnden Machtver-
hältnissen angepasst werden kann, so bedarf es doch immer eines
Willensaktes der Kammer, um eine solche Modifikation vorzu-
nehmen. Es gehört aber zum Wesen des mittelbar geltenden
Rechtes, dass es sich ohne jeden Willensakt, durch das blosse
Nichtmehrzutreffen der Klausel rebus sic stantibus ändert. So-
fern aber eine auf Gesetz oder Verfassungsvorschrift beruhende
Regel der Geschäftsordnung durch einfachen Kammerbeschluss
geändert wird, liegt entweder ein Rechtsbruch — eine „Rechts-
satzanmassung“, wie HATSCHEK °* für das englische Recht sagt —
vor oder wir haben es mit einer Erscheinung des subsidiären,
also im Sinne JELLINEKs und v. MARTITZ dispositiven öffent-
lichen Rechtes zu tun.
Unter den englischen Bezeichnungen für die Konventional-
regeln befindet sich auch die als customs, was mindestens auf
eine nahe Beziehung zwischen dem mittelbaren und dem Gewohn-
heitsrecht hindeutet. Die Aehnlichkeit zwischen ihnen besteht
natürlich darin, dass beide ohne einen rechtsetzenden Willens-
akt zu gelten beginnen. Wir glauben aber deutlich genug ge-
zeigt zu haben, dass nicht die Gewohnheit, sondern die Not-
wendigkeit die Schöpferin des mittelbaren Rechtes ist, was nicht
ausschliesst, dass die Machtverhältnisse, auf denen diese Not-
wendigkeit beruht, sich manchmal erst im Laufe eines längeren
Zeitraums herausgebildet haben können.
"A. a. O0. S. 582.