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beliebte Auffassung, sie als feindliche Gegensätze zu behandeln,
die einander ausschliessen. Eine Zeit lang schien es, als sollte
die relative Rechtskraft die Oberhand bekommen. Das war zur
Zeit, da der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches eine
Bestimmung enthielt, wonach das rechtskräftige Urteil nicht von
Amtswegen zu berücksichtigen ist, vielmehr die Partei darauf
verzichten kann °. Die Möglichkeit solchen Verzichtes ist immer
ein entscheidendes Kennzeichen für die relative Rechtskraft. BÜ-
LOw ist damals in Archiv f. civil. Pr. Bd. 83 kräftig für die ab-
solute Rechtskraft eingetreten. Die Reichsgesetzgebung hat, wohl
unter dem Eindruck dieser Ausführungen, die Frage dahingestellt
sein lassen. In der Doktrin aber ist im Anschluss daran ein so
entschiedener Umschwung zu Gunsten der absoluten Rechtskraft
eingetreten, dass, wer vorher etwas für das Recht am Urteil ge-
schrieben hat, jetzt schon gewärtigen muss, von übereifrigen
Juristentagsreferenten, die nicht ganz auf dem Laufenden sind,
für einen wunderlichen Menschen angesehen zu werden.
In Wahrheit aber besteht ein solches Entweder-Oder keines-
wegs. Beide, absolute Rechtskraft und relative Rechtskraft, die-
nen achtenswerten Interessen und haben ihr gutes Recht, jedes
neben dem anderen. Das wäre also eine dritte Möglichkeit °°.
#2 Entw. I d. B.G.B. $ 191 Abs. 2.
53 So erklärt sich die Erscheinung, dass man bei der Begründung des
Instituts der Rechtskraft die Gründe, welche absolute, und die, welche rela-
tive Rechtskraft verlangen, ganz unbedenklich zu vereinigen pflegt. Beide
kommen eben in Betracht und sind wirksam geworden. Vgl. z. B. ZORN
in Verw.-Arch. II S. 122. Hier wird hervorgehoben, dass die Rechtskraft
im Ziv.-Proz. auf zwei Gründen beruht. Der eine ist: „Herstellung eines
endgültigen Rechtsbodens für die Parteien“ oder, wie es nachher erläutert
wird: „Die durch die Rechtskraft hergestellte Rechtssicherheit ist formell
und materiell ein Rechtserfolg der Parteien und für die Parteien“ — also
relative Rechtskraft. Aber: „daneben kommt auch noch das Moment der
Rechtsökonomie in Betracht. Dieselbe Sache wiederholt verhandeln und
entscheiden zu müssen wird für die Gerichte ein unerträglicher Zustand® —
also absolute Rechtskraft. Mehr oder weniger tritt dieser doppelte Gesichts-