— 464 —
Gebiete, mit welcher eine literarische Bewegung Hand in Hand geht,
die die kulturelle und namentlich die wirtschaftliche Position beider Kampft-
parteien beleuchtet. Die Führung hat hier auf deutscher Seite FRIEDRICH
v. WIESER wit seinen Arbeiten über die Steuerleistung der Deutschen in
Böhmen übernommen,
Nunmehr liegt eine nach Inhalt und Umfang hoch bedeutende, im
Auftrage der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst
und Literatur in Böhmen von Prof. HEINRICH RAUCHBERG verfasste Arbeit
vor, welche auf die letzten Elemente des nationalen Verhältnisses in
Böhmen zurückgeht, nämlich auf den Besitz der Deutschen und Czechen
in Böhmen an Land und Leuten. RAUCHBERG unternimmt es, die Ergeb-
nisse der letzten Volkszählung zu einer umfassenden Darstellung der g e-
samten nationalen Verhältnisse in Böhmen zu verwerten.
Einem stattlichen Textbande, welcher die Ergebnisse der ziffermässigen
Feststellungen und Kombinationen der Zählung systematisch darstellt,
schliesst sich illustrativ ein Tabellenband und ein Band kartographischer
Anlagen an. Die Arbeit RAUCHBERGs ist eine bevölkerungsstatistische ;
mit der anatomischen Tätigkeit des Statistikers, welche den nationalen
Besitzstand in alle seine Details gliedert, verbindet sich eine physiologische,
welche die Funktionen der ermittelten Elemente, das Aufeinanderwirken
derselben nach allen Richtungen verfolgt und zwar bis zu dem Punkte, wo
die Ergebnisse der Statistik in die Politik einmünden. Diese Selbstbe-
schränkung, welche den Ausführungen des Autors mitunter etwas Nüch-
ternes gibt, bildet gerade hier einen grossen Vorzug. Fern von jedem
rednerischen Pathos zieht Verfasser aus dem Zahlenmateriale seine oft
überraschenden Schlüsse, durch welche manche politische Fabel, namentlich
über die geringere Expansionsfähigkeit des deutschen Volksstammes in
Böhmen gründlich zerstört werden dürfte, mit einer Objektivität, die auch
auf Seite seiner nationalen Gegner reiche Anerkennung gefunden hat.
Freilich werden manche Schlüsse vermöge der unsicheren Prämissen Zweifel
erregen. So dürfte der Aufbau der nationalen Gliederung auf die statistisch
ermittelte „Umgangssprache“ doch nicht überall zu verlässlichen Ergebnissen
bezüglich des nationalen Besitzstandes geführt haben. Die Divergen”
zwischen „Umgangssprache“ und „Nationalität“, welche, wie Autor selbst
zugibt (I. S. 151) die eigenartigen Ergebnisse der letzten Volkszählung für
die Stadt Prag herbeiführen half, dürfte wohl auch in anderen Beziehungen
beirrend gewirkt haben. Sehr interessant und richtig ist die Würdigung
des Einflusses der wirtschaftlichen Verhältnisse, namentlich in
Deutschböhmen, auf die Assimilierung fremdsprachiger Minderheiten (I Ab-
schnitt VII bis XD; doch gerade hier dürfte die fortschreitende Demo-
kratisierung unserer Öffentlichen Einrichtuugen, die die wirtschaftlichen
Unterschiede zu gunsten der blossen Zahl hintansetzt, am ehesten eine
Wendung mit sich bringen. —