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oder apodiktischer ist und dass der gegenwärtige Zustand vieler
Wasserstrassen, insbesondere der Flüsse, nicht von Natur allein
entstanden, sondern unter der Mitwirkung von menschlicher Tätig-
keit hergestellt worden ist. Ein natürlicher Wasserlauf braucht
kein wilder Wasserlauf zu sein. Es ist ein Sophisma, dem Be-
griff „natürliche Wasserstrasse* den Begriff „Wasserstrasse im
Naturzustande“ unterzuschieben. Ein Fluss hört nicht auf, eine
natürliche Wasserstrasse zu sein, wenn seine Ufer befestigt, sein
Bett von Schiffahrtshindernissen gereinigt und sein Lauf geregelt
wird. Andererseits verliert ein Kanal nicht dadurch den Uha-
rakter der künstlichen Wasserstrasse, dass ein Fluss zu seiner
Speisung verwendet wird. Es kommt darauf an, ob der Weg,
welchen die Wasserwellen nehmen, von Natur in das Land ein-
geschnitten oder künstlich in das Land gegraben ist. Jeder Fluss
ist eine natürliche und jeder Kanal eine künstliche Wasserstrasse.
Ein Fluss kann durch Versiegung der Zuflüsse, durch Ver-
schlammung oder andere Ereignisse aufhören, eine Wasserstrasse
zu sein, und es kann vielleicht an seiner Stelle eine künstliche
Wasserstrasse hergestellt werden; das ist aber kein Mittelding
zwischen einer künstlichen und natürlichen Wasserstrasse, son-
dern hier ist die natürliche Wasserstrasse verschwunden und eine
künstliche neu hergestellt worden. Es mag vorkommen, dass es
vom technischen Gesichtspunkt aus hie und da zweifelhaft wird,
ob man es mit einer künstlichen oder natürlichen W asserstrasse
zu tun hat, und in welche Kategorie ein solcher Fluss oder Kanal
einzureihen ist. Es kommt alsdann darauf an, ob die mensch-
liche Tätigkeit so überwiegend ist, dass der von Natur geschaffene
Wasserlauf als Wasserstrasse für die Schiffahrt nicht mehr in
Betracht kommt. Solche Fälle sind aber sicher äusserst selten.
Bei den grossen deutschen Strömen kann ein solcher Zweifel nicht
erhoben werden; sie hören nicht auf, natürliche Wasserstrassen
zu sein durch Verbesserung ihres Laufes irgend welcher Art,
mögen diese auch noch so kostspielig und bedeutend sein; denn
Archiv für öffentliches Recht. XXI. 4. 33