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der natürliche Wasserlauf bleibt stets das überwiegende, alle
künstlichen Arbeiten und Anlagen weit überragende Moment. Mit
Recht hat LönınG * hervorgehoben, dass, wenn ein Fluss durch
Strombauten oder durch Regulierungen zu einer künstlichen
Wasserstrasse würde, es in Deutschland natürliche Wasserstrassen
überhaupt nicht gäbe. Denn alle Flüsse hätten ihre Eigenschaft,
als Schiffahrtsweg zu dienen, ganz oder zum grossen Teil ver-
loren, wenn nicht durch technische und künstliche Arbeiten die
schädlichen Einwirkungen natürlicher Kräfte abgewendet worden
wären. Die von der Reichsverfassung gemachte Unterscheidung
natürlicher und künstlicher Wasserstrassen hätte gar keinen Sinn
und wäre ohne praktische Bedeutung, wenn es keine natürlichen
Wasserstrassen gäbe. Die Regulierung eines Stromes macht ihn
nicht aus einer von der Natur geschaffenen zu einer künstlichen,
d.h. durch Menschenwerk hergestellten Wasserstrasse, und es ist
nach meiner Ansicht ganz gleichgültig, durch welche technischen
Mittel die Regulierung erfolgt ist und einen wie grossen Nutzen
sie für die Schiffahrt hat. Auch die Anlage von Stauwerken
und Schleussen ist nicht imstande, einem Flusse den Charakter
einer natürlichen Wasserstrasse zu nehmen.
Man pflegt einen durch Stauwerke und Schleussen verbes-
serten Fluss als einen kanalisierten zu bezeichnen und einem
regulierten gegenüberzustellen. Aber auch ein in dieser Art
kanalisierter Fluss ist im Sinne des Artikels 54 der Reichsver-
fassung eine natürliche Wasserstrasse; denn ein Mittelding zwi-
schen natürlichen und künstlichen Woasserstrassen ist in der
Reichsverfassung nicht anerkannt. Nun ist es zwar bekannt,
dass für die Befahrung kanalisierter Flüsse Abgaben erhoben
werden, ohne dass man darin eine Verletzung der Reichsverfas-
sung erblickt; indes das hat eine besondere Bewandtnis. Da der
kanalisierte Fluss ohne Benutzung der Schleussen nicht befahren
* In der Deutschen Juristenzeitung 1905 S. 278 fg.