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bei den staatlichen Zuständen in Deutschland unmöglich, die Fort-
bildung und Abänderung der Verfassung davon abhängig zu
machen, dass sämtliche Staaten zustimmen und jeder einzelne,
auch der kleinste, ein Recht des Widerspruchs habe. Anderer-
seits aber bedurften die deutschen Staaten, vor allem Preussen
selbst, eines Rechtsschutzes dagegen, dass nicht eine Majorität der
Stimmen im Bundesrat in Verbindung mit einer Majorität des
Reichstages die Grundlagen umstösst, auf denen das Reich ruht,
und die Bestimmungen seiner Verfassung abändert. In allen
Staaten sind Verfassungsänderungen im Vergleich mit gewöhn-
lichen Gesetzen in irgendeiner Art erschwert, und dadurch ist
der Bestand der Verfassungen gesichert. Im Deutschen Reich
besteht diese Garantie einzig und allein in dem Veto der 14
Stimmen im Bundesrat. Dies gewährt Preussen und ebenso
jeder Gruppe von Staaten, welche im Reich besondere Interessen
haben können, wenn diese Gruppe so bedeutend ist, dass sie über
14 Stimmen verfügt, Schutz gegen eine Vergewaltigung durch
Majoritätsbeschlüsse. Das Veto der 14 Stimmen bildet gleich-
sam die Verankerung der Reichsverfassung zum Schutz gegen
momentane Strömungen. Was von einer Veränderung der Reichs-
verfassung gilt, gilt auch von einer authentischen Deklaration
derselben, welche sachlich einer Veränderung der Verfassung
gleichkommen kann; auch sie ist an die Formen der Ver-
fassungsänderung gebunden, also bei dem Widerspruch von 14
Stimmen im Bundesrat und ohne Zustimmung des Reichstages
unmöglich.
Dagegen kann der Bundesrat die Auslegung einer zweifel-
haften Anordnung der Reichsverfassung mit einfacher Stimmen-
mehrheit beschliessen. Bestreiten kann man aber alles und die
klarste und unzweideutigste Bestimmung in ihr Gegenteil ver-
kehren, wenn man den moralischen Mut dazu besitzt. Dadurch
kann die wichtigste Garantie der verfassungsmässigen Rechte der
deutschen Bundesstaaten illusorisch gemacht werden. Man kann