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getreten war. Nach Niederwerfung der Grossen Revolution hatten
sich die Verhältnisse aber geändert: die Richter waren durch
das Stellenbesetzungsrecht des Kaisers von dem Staatsoberhaupte
abhängig geworden, und den Gerichten war ihre frühere poli-
tische Bedeutung genommen. Jetzt hätte daher der Uebertragung
der den Staat betreffenden Rechtsstreitigkeiten auf die ordent-
lichen Gerichte nichts mehr entgegengestanden. Aber erhalten
hatte sich aus der alten Zeit das Misstrauen der Verwaltung gegen
die Gerichte, und deshalb blieb Alles im wesentlichen beim Alten.
Und doch war das Alte vergangen und Alles neu geworden.
Zunächst war an Stelle der früheren Willkür eine feste Regel
getreten. Der König war befugt gewesen, von der hergebrachten
Uebung, von den Leitsätzen, die er selbst für die Verteilung der
Geschäfte gegeben, jederzeit abzuweichen, ohne ein Unrecht zu
begehen. Wie er von den Banden eines Vertrags lösen konnte !,
so konnte er auch einem Edelmanne die unangenehme Pflicht
erlassen, von den Richtern, mit denen er sich überworfen hatte,
Recht nehmen zu müssen, und seinen Rechtsstreit einem Sonder-
gerichte zur Entscheidung übertragen ?. Damit war es für immer
vorbei. Das Interesse des Staats war bei der Vermarkung der
Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung zum Ausdrucke gekom-
men, war aber, nachdem die Gebiete verteilt worden waren, nicht
mehr im Stande, eine Gebietsüberschreitung zu rechtfertigen.
Die Rechtsordnung verdrängte die Willkür aber nicht nur
bei der Verteilung der Zuständigkeiten, sondern hielt auch ihren
Einzug in das eigene Gebiet der Verwaltung. Zur Zeit des ancien
regime hatte die Verwaltung die Rechtsprechung der Gerichte
aus dem Grunde gescheut, weil diese sich nicht von Rücksichten
auf die Regierung leiten liessen, und hatte besondere Verwaltungs-
gerichte geschaffen, von welchen erwartet wurde, dass sie von der
! MoLı&re, Tartuffe Akt 5 Se. 7.
’ TOCQUEVILLE, L’ancien regime et la revolution 2. Aufl. (1856) S. 106—108.
DARESTE, la justice administrative $, 516.