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erhalten wurde °.
Anders das neue österreichische Wahlgesetz. Hier
ist von vorneherein eine Ungleichheit der Wahlbe-
zırke fixiert worden. In der Zusammensetzung der Wahlbe-
zirke liegt überhaupt der politische Schwerpunkt der Wahlreform-
aktion, wie denn die „Wahlgeometrie* in der Geschichte des
parlamentarischen Wahlrechtes in Oesterreich stets eine grosse,
oft verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Der Weahlreform liegt
eine Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der Volks-
stämme Oesterreichs zugrunde, und wie die Sonderbestrebungen
der einzelnen Nationalitäten den Ausgangspunkt des politischen
Lebens in den letzten Jahren gebildet haben, wurde die Diffe-
renzierung nach Volksstämmen zum leitenden Ge-
danken auch bei der Durchführung der Wahlreform gemacht.
Wenn auch formell, dem bisherigen Zustande entsprechend, die
einzelnen „Königreiche und Länder“ als Grundlage für die Be-
stimmung der Zahl der Abgeordneten genommen wurden, so
wurde dennoch jedem der Volksstämme, deren Ansiede-
lungsgrenzen bekanntlich mit den Kronlandsgrenzen nicht überein-
stimmen, eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten zugewiesen.
Für diese Anzahl wurden vor allem der bisherige Besitz-
stand und die etwas unbestimmten Momente der kulturel-
len Entwicklung, der historischen Stellung und der
Steuerleistung als massgebend angenommen *. Die Wahl-
® Zuletzt durch Ges. vom 6. April 1898; vgl. Esmeın, El&ments du
droit constitutionnel, 1899, S. 631.
* Vgl. aus der Rede des Min.Präs. Fh. von GAUTSCH in der Sitzung
des Abgeordnetenhauses vom 28. Nov. 1905: .. . „Bei uns kommen nicht
wie in anderen Staaten die individuellen Rechte der Wähler allein in Be-
tracht, sondern in gleicher Weise auch die geschichtliche Stellung der
Länder, die parlamentarische Vertretung der Nationalitäten, die
Srossen Verschiedenheiten ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, ihre
Steuerkraft und damit ihre Leistungsfähigkeit und Bedeutung im Staate
und für den Staat. Ein Wahlrecht, das daran achtlos vorüberginge, könnte
vielleicht die mechanische Gleichheit für sich haben, in Wirklichkeit aber