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malen möglich, eine Fortentwickelung des Wahlrechtes im demo-
kratischen Sinne durchzuführen. Die Wahlreform stellt sich als
das Ergebnis zahlreicher Kompromisse dar, welche zumeist
auf Kosten der bisherigen privilegierten Klasse des Grossgrund-
besitzes, unter Aufhebung der durch die wirtschaftliche Entwick-
lung überholten bisherigen Gliederung der Wählerschaft, eine
etwas gerechtere Verteilung der Mandate auf die einzelnen Volks-
stämme anstrebt.
In dieser Ungleichheit des Wahlrechtes, in dieser
Differenzierung hauptsächlich nach dem nationalen Momente, liegt
die grosse Gefahr für die Zukunft und die ordnungsmässige Wirk-
samkeit des neuen Reichsrates und für den Bestand der gegen-
wärtigen Reform überhaupt. Die grossen nationalen Parteien
stimmten denn auch nur mit einer gewissen Resignation den Re-
formgesetzen zu, die deutschen Parteien in Besorgnis um
den Verlust ihrer vorherrschenden Stellung ‘, die slavischen
vielfach enttäuscht in ihrer Hoffnung auf Anpassung der Abge-
ordnetenzahl an die Bevölkerungsziffer. Kennzeichnend für diese
Stimmung der Parteieu und wenig erfreulich in dieser Beziehung
war namentlich die Verhandlung über den $42 der neuen Wahl-
ordnung, welcher die Aenderung der Wahlbezirkseinteilung regelt
und bei welcher das Bestreben der bezüglich der Mandatenzahl
mandat. — Was die einzelnen Kronländer anbelangt, so entfällt z. B.
ein Mandat im Herzogtume Salzburg auf ca. 27000, im Voralberg auf
ca. 30.000, in Niederösterreich auf ca. 45 000, in Galizien auf ca. 69 000 Ein-
wohner. Die grösste Differenz besteht aber zwischen den einzelnen Volks-
stämmen, indem z, B. bei den Italienern ein Abgeordnetenmandat schon
auf ca. 38000, bei den Ruthenen aber erst auf ca. 102000 Einwohner ent-
fällt (s. die Zusammenstellung unten 8.79 f.). Bezüglich des Unterschiedes
»wischen Stadt und Land ist zu bemerken, dass in den städtischen
Wahlbezirken ein Mandat durchschnittlich auf ca. 31800, in den ländlichen
aber erst auf ca. 55 000 Einwohner entfällt (RAUCHBERG in der N, Fr. Presse
vom 9. Mai 1907).
” Während bisher die Anzahl der deutschen Abgeordneten 207 unter
452 betrug, soll dieselbe nunmehr 233 unter 516 Abgeordneten betragen.