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eine criminalite absolue? ADOLPHE Prıns sagt!0’: „Il est permis
d’affırmer qu’il n’y a pas de delits naturels, c’est-ä-dire des ac-
tions qui partout et toujours ont e&t& considerees comme crimi-
nelles“. Seit CHARLES DE MONTESQUIEU, dessen Gedanken RU-
DOLF VON IHERING glänzend vorgetragen und entwickelt hat !%,
darf man die Relativität der Anschauungen über die Strafbar-
keit menschlicher Handlungen als erwiesen annehmen. Wenn
berichtet wird, dass afrikanische Völkerschaften den Diebstahl
nicht nur in der Ordnung finden, sondern geradezu als eine
lobenswerte Tat ansehen 19%, so beweist das, wie verschieden selbst
die Beurteilung einer Handlung sein kann, von der man leichter,
wie von mancher anderen vermuten könnte, dass sie absolut
strafbar wäre. Und wollte man deshalb absolute Strafbarkeit
nur bei zivilisierten Völkern verlangen — auf einem Umwege
also doch zur Relativität der Strafbarkeit zurückkehren —, so
bliebe man den Nachweis schuldig, welche Staaten dieser Quali-
fikation würdig sind. Aber wäre er erbracht, selbst dann: Wie
können Anschauungen unbeteiligter Länder das Recht eines zwi-
schen zwei Staaten abgeschlossenen Auslieferungsvertrages beein-
flussen? Was kümmert die deutsch-spanische Ausliefe-
rungskonvention von 1878, die durch die Attentatsklausel den
Königsmord für auslieferungspflichtig erklärt hat, welche Rechts-
anschauungen in England oder der Schweiz darüber gelten? —
In jener Meinung liegt ein Rudiment der früheren Auffassung
des Völkerrechts vor, die für jeden Teil und jedes Teilchen die-
ses Rechts die Gemeinsamkeit aller Kulturvölker als Autorität
aufrief. Diese rationalistische Anschauung, im ganzen überwun-
den, erscheint in solchen Einzelpunkten wie hier unvertilgbar
wieder. Die Praxis hat, von einigen schönen Phrasen abgesehen,
107 Science penale p. 78.
18 Der Kampf ums Recht. 14. Aufl, Wien 1900. S. 32.
1 Entnommen PrınS, science p@nale p. 78 note 2, der dies aus POosT,
Afrikanische Jurisprudenz Bd. 2 8. 83 mitteilt. Vgl. auch Prıns, Id6es mo-
dernes p. 86.