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von Giftmord, Elternmord und Kindesmord neben Mord und
Totschlag überhaupt zu entbehren gewesen. Ihre Beibehaltung
wurde aber durch die Rücksicht auf die belgische Gesetzgebung
geboten“.
Das ist das Material. Welche Straftaten aus dem beider-
seitigen Strafrecht unterliegen demnach der Auslieferung?
Von vornherein ist festzustellen, dass die im Vertrage mit
ihren technischen Benennungen aufgeführten Delikte der Aus-
lieferung unterworfen sind, soweit der gegebene Straffall auf
beiden Seiten gedeckt ist. Jeder Tatbestand, der einen „Tot-
schlag“, d.h. das Verbrechen des $ 212 des deutschen Reichs-
strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 und zugleich einen meurtre,
nämlich das Delikt aus Art. 393 des belgischen code penal vom
8. Juni 1867 darstellt, ist auslieferungspflichtig. Das deutsche
Gesetzbuch sagt in $ 212: „Wer vorsätzlich einen Menschen
tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Ueberlegung ausge-
führt hat, wegen Totschlages mit Zuchthaus nicht unter
5 Jahren bestraft“. Der belgische Code definiert in Art. 393:
„L’homicide commis avec intention de donner la mort est quali-
fie meurtre. Il sera puni des travaux forces & perpetuite“.
Das sind im wesentlichen übereinstimmende Begriffsbestimmungen:
Im subjektiven Tatbestand der Vorsatz bezw. die intention de
donner la mort, und im objektiven der Todeserfolg, kausal ver-
knüpft mit dem in Handlung umgesetzten Vorsatz des Täters.
Eine Verschiebung in der Weise, dass ein Tatbestand auf der
deutschen Seite etwa Totschlag, auf der belgischen aber nicht
meurtre wäre, ist hier kaum denkbar. Sollte er sich aber doch
finden, z. B. infolge abweichender Interpretation der subjektiven
Erfordernisse oder des Kausalverhältnisses, so würde er durch
die Klausel beiderseitiger Strafbarkeit, dem Erzeugnis der Rezi-
prozität, der Auslieferung entzogen — es sei denn, dass er unter
Reichstags, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, Bd. 4 Aktenstück Nr. 154
S. 1068; auch v. Staupıneer Bd. 1S. 54.