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seinem kriminellen Gewicht nach zwischen dem einfachen Tot-
schlag und dem Morde liegt. Er muss aus diesem Grunde als
mitgemeint gelten, um so mehr, als das belgische Recht einen
entsprechenden Tatbestand nicht kennt und ihn unter seinen
meurtre einbegreift. Es ist mithin beiderseitige Strafbarkeit ge-
geben, und die Folgenschwere einer Auslieferung ist hier über-
einstimmender als bei der Gegenüberstellung des einfachen Tot-
schlags mit dem meurtre. Anders dagegen muss die Tötung
auf Verlangen nach $ 216 des Strafgesetzbuchs beurteilt
werden: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche
Verlangen. des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf
(Gefängnis nicht unter 3 Jahren zu erkennen“. Sie ist nach
deutschem Recht ein selbständiges Sonderdelikt, der Sache nach
ein privilegierter Fall von Mord und von Totschlag, und mit
einer (sefängnisstrafe von 5 Jahren im Maximum bedroht’’”.
Das belgische Strafrecht kennt ein solches Verbrechen nicht; der
Tatbestand müsste als meurtre angesehen werden und mit tra-
vaux forces & perpetuite bezw. bei mildernden Umständen, die
man wohl annehmen würde, mit mindestens 10 Jahren travaux
forces bestraft werden (Art. 80). Hier ist die Beurteilung des
Deliktes eine gar zu ungleiche, das Interesse an der Bestrafung
der Tat, das Interesse an der Auslieferung ihres Täters ein zu
verschiedenes, als dass die Reziprozität gewahrt erschiene. Und
weil die Reziprozität nicht gewahrt ist, entfällt für beide Teile
die Auslieferungspflicht, obschon der fragliche Tatbestand beider-
seitiger Bestrafung unterliegt!®.
46. Wie das ausgeführte Beispiel ergeben hat, braucht sich
der eigentliche Vertragsinhalt mit dem Wortlaut der zwei oder
drei Ausfertigungen der Konvention nicht zu decken. Er muss
157 Siehe METTGENBERG, Der Versuch der Tötung auf Verlangen als
Körperverletzung 1906/07. In der Zeitschrift für die gesamte Strafrechts-
wissenschaft Bd. 27 S. 565 fg.
168 Ebenso LAMMASCH, Auslieferungspflicht S. 172.