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falls der Staatenpolitik den Nachweis schuldig, dass man ihre
Interessen nicht schädige.
Dabei ist eins zu bedenken. Man darf nicht übersehen,
und es ist nur gerecht, auch darauf hinzuweisen, dass die Ge-
genseitigkeit dem internationalen Rechtshilfeverkehr einen gros-
sen Dienst geleistet hat und fortwährend leistet, indem sie zu
einer gewissen Uniformität in der Regelung der Ausliefe-
rungsbeziehungen beiträgt. Das ist ein nicht zu unterschätzen-
der Gewinn. Man braucht dabei nicht gleich an eine alle zivili-
sierten Staaten umspannende Auslieferungsvereinbarung zu denken.
Die Besonderheiten auf strafrechtlichem Gebiete in den einzelnen
Nationen sind immer noch recht zahlreich und sie für eine all-
gemeine Konvention auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen,
wird noch lange ein kühnes Unterfangen bleiben. Aber, abge-
sehen davon, wird durch die Gleichförmigkeit der Staatenver-
träge der Boden für eine gedeihliche Weiterentwicklung des Aus-
lieferungsverkehrs in günstiger Weise vorbereitet. Die Staaten
werden ganz anders bestrebt und bemüht sein, ihre Rechtshilfe-
beziehungen zu erweitern und zu vervollständigen, wenn sie durch
Einblick in das einheitliche und geschlossene Reziprozitätssystem
des uniformen internationalen Vertragsrechts die Gewissheit ha-
ben, dass man ihnen konventionell selbstverständlich Gegenseitig-
keit gewähren wird, als wenn sie in jedem einzelnen Fall auf
der Hut vor vermeintlichen oder wirklichen Uebervorteilungen
sein müssten. Das „grosse und wirksame Prinzip der Gegen-
seitigkeit“ bitdet einen starken Schutzwall für den schwächeren
Kontrahenten, „dessen Wahrung und Schonung kein weitsich-
tiges Staatswesen um eines augenblicklichen Vorteils willen wag-
halsig auf’s Spiel setzt“!”, In feiner, automatischer Weise
bewirkt die Reziprozität den nötigen Ausgleich, wo ohne sie
—.
176 FELIX STOERK, Völkerrecht und Völkerkourtoisie (1908) S. 161
(Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für PauL LABAnD Bd. 1 Tübingen
1908).