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Gegenseitigkeit. Das deutsche Recht weist noch ein charakteri-
stisches Beispiel für ihre Verwertung in den 88 102, 103 des
Strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871° auf, Bestimmungen, die wie
alle dieser Art aus dem Bestreben entstanden sind, in gleicher
Weise wie für die inneren auch für „die äusseren Verhältnisse,
soweit deren Struktur überhaupt eine Regelung zulässt, recht-
liche Grundsätze aufzustellen“. Durch sie wird auswärtigen
Staaten, ihren Herrschern und Regenten gegen verschiedengear-
tete hochverräterische Angriffe und gegen Beleidigungen Straf-
schutz zuerkannt, „sofern — wie es ursprünglich hiess — „nach
veröffentlichten Staatsverträgen oder nach Gesetzen dem Deut-
schen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist.“ Durch
die Novelle vom 26. Februar 1876° wurde die Fassung geändert,
sodass die Voraussetzung heute einfach lautet: „sofern dem Deut-
schen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist.“ Diese
vielfach getadelte? Neuerung hat die schwierige Frage, was unter
der Gegenseitigkeit zu verstehen sei, nicht berührt und die Fest-
stellung, ob sie vorhanden, dem Richter überlassen. Nach wie
vor ist streitig geblieben, was erfüllt sein muss, ehe die Gegen-
seitigkeit als verbürgt angenommen werden kann. Darin aber
ist man sich einig, dass „diese dem Gebiet des internationalen
Rechts angehörende Bedingung der Strafbarkeit“!° einen positiv
—
° In der Fassung von 1876: Reichsgesetzblatt 1876 S. 40 (frühere Fas-
sung: Reichsgesetzblatt 1871 S. 128).
” BERGBOHM S. 106.
8 Reichsgesetzblatt 1876 S. 25.
v Siehe z. B. LAMMASCH in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechts-
wissenschaft Bd. 3 S. 400, MeeEnts S. 57; ferner von Liszt, Strafrecht
s 170 S. 551; TRIEPEL S. 280 Anm. 3, sowie die von ihnen angegebene
Literatur; BERNER, Deutsches Strafrecht S. 536.
10 Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts (Urteil vom 2. Juli 1281)
Bd. 3 S. 459. Hier heisst es S. 460: „... ob und in welchem Umfange die-
selbe [die Gegenseitigkeit] vorliegt, ist... eine Rechtsfrage, welche
aus dem internationalen Recht beantwortet werden muss.“ Vgl. auch das
Urteil vom 6. Mai 1905 in den Entscheidungen des Reichsgerichts in Straf-
sachen Bd. 88 S. 75.