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zu umschreibenden Inhalt haben muss. Alle Versuche, ihn zu
bestimmen, bewegen sich auf dieser Linie. Mag man „ein an-
nähernd gleiches Mass von Ernst der Repressivmittel“!! ver-
langen; mag man als hinreichend ansehen, „dass die konkrete
Handlung ... auch von dem ausländischen Staat mit einer
Strafe belegt würde, die den Strafandrohungen des $ 102 ent-
spricht und namentlich höher ist, als bei gemeinen Delikten*!?;
mag man sich mit „der entsprechend schweren Bestrafung .. .
nach dem ausländischen Recht“ !? begnügen — immer geht das
Bemühen dahin, positiv zu formulieren, was Gegenseitigkeit be-
deutet.
2. Das interessante an diesen Versuchen ist die Beobach-
tung, dass allen Umschreibungen eine gewisse Vagheit eigen ist.
Ideell müsste es möglich sein, mit vollständiger Genauigkeit an-
zugeben, wann die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Sie wäre nur
dann vorhanden, wenn das Strafrecht des fremden Staates die
88 102, 103 unseres Strafgesetzbuchs reproduzierte; reproduzierte
in Wortlaut und Auslegung. Nur wenn das ausländische Recht
unsere Bestimmungen in ganzer Tragweite wiederholt, wobei sich
dann die geschützten Interessen vertauschen, oder über sie hin-
ausgeht, wobei aber der Ueberschuss von unserem Standpunkt
11 So Bınpina, Handbuch S. 593; ähnlich HÄLscHner Bd. 2 S. 774;
MeEves, Strafgesetznovelle Anm. 7 zu $ 102, und in v. HOLTZENDORFFS
Strafrecht Bd. 4 S, 290; Meznıs S. 57.
12 So FRANK, Strafgesetzbuch Anm. II zu 8 102; ähnlich RÜDORFF-
STENGLEIN Anm. 5—7 zu $ 102; OPPENHOFF, Deutsches Strafgesetzbuch
Anm. 9 zu 8 102; v. BAR, Lehrbuch 1892 S. 268; HEINRICH GERLAND in
der vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts,
besonderer Teil (Berlin 1906) Bd. 1 S. 224 fg.
13 So v. Liszt, Strafrecht $ 170 S. 552; Ran S. 23, 29. — Ganz eigen-
artig ist die Bemerkung von ROSENBLATT S. 98: „Unter befreundeten Staaten
sind solche zu verstehen, bei denen die Gegenseitigkeit gesichert ist, oder
doch, wo gegebenenfalls auf dieselbe gerechnet werden kann.“ Danach wäre
mit der Freundschaft der Staaten die Gegenseitigkeit gegeben. Dass das
dem deutschen Gesetz nicht entspricht, bedarf keiner Ausführung, ob-
schon auch RAun S. 24 diesem Gedanken zu mindest nicht fern steht.