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Denn die Konutersche Definition des Prozesses ist m. E. nicht richtig.
Nach meinem Dafürhalten ist der Prozess nicht ein in der Fortschreitung
begriffenes Rechtsverhältnis, sondern eine Handlung, ein Rechtsgeschäft des
Staates. Der Begriff des Rechtsverhältnisses deutet auf etwas Zuständ-
liches hin; das „Fortschreiten“ des Rechtsverhältnisses ist nichts anderes
als die fortwährende Ersetzung der bisherigen Rechtsbeziehungen durch
andere. Dieser Ersatz tritt ein durch ein Element der Bewegung, durch
Handlungen. Das Rechtsverhältnis ist aber ein Moment der Ruhe. Durch
den Prozess entstehen Rechtsverhältnisse. Der Prozess setzt auch schon
zu seiner Entstehung gewisse Rechtsverhältnisse voraus, Rechtsverhältnisse
privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Natur.
Diese Grundlagen des Zivilprozesses finden bei KOHLER nicht die ge-
nügende Beachtung. Er kann auf dem Fundamente, das er gelegt hat,
nicht weiter bauen! So wird der Grundriss — wie auch andere, die den-
selben Gegenstand behandeln, eine Sammlung von Einzelthesen, die nur
durch ein loses systematisches Band verbunden sind.
So stellt z. B. KoHLER wie alle Zivilprozessbücher den Satz ohne Be-
gründung hin: index ne procedat ex officic. Wenn KOHLER die dem Pro-
zesse zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse wirklich konstruiert hätte, so
ginge dieser Satz logisch aus dem Ganzen hervor. Gerade der Anfänger
muss doch lernen, warum das so ist! Was fangen wir mit einer Rechts-
vergleichung an — wenn wir nicht fragen: warum ist es hier so und hier
80? Der Satz i.n. p. e. o. folgt daraus, dass der Staat im Zivilprozesse
Angelegenheiten der Parteien besorgt, welche der alleinigen Verfügung der
Parteien unterstehen, weil er mit dem Zivilprozesse in fremde Rechts-
sphäre eingreift, wozu er einen gesetzlichen Titel braucht. Und da dieses
Eingreifen hauptsächlich im Interesse der Parteien erfolgt, daher mit Not-
wendigkeit die Verhandlungsmaxime!
Das Prozessverhältnis besteht nach KOHLER darin, dass der Beklagte
verstrikt wird, d. h. Objekt der Prozesshandlungen wird. Es entsteht
infolge des Prozesses ein Rechtsverhältnis zwischen Gericht, bezw. Staat,
Kläger und Beklagten jedoch ist nicht dieses Rechtsverhältnis der Pro-
zess. Nur daraus, dass dem Prozesse ein materiellrechtlicher Antagonis-
mus der Parteien zugrunde liegen muss, kann man den Grundsatz der Duali-
tät der Parteien ableiten (S. 15, II). Der Streit setzt immer eine Dualität
voraus. Der Prozess hat aber zur Voraussetzung einen Streit.
Warum sagt KoHLer 8. 16, I nicht einfach: die Rechtsfähigkeit im
Prozesse = Parteifähigkeit ist keine andere als die des bürgerlichen Rechtes.
Ausnahme $ 50 Abs. 2. Diese Ausnahme beruht auf dem Bestreben nach
Vereinfachung des Rechtsverkehres, bezw. Erleichterung der Rechtsverfol-
gung. Auch hier fehlt es wieder an den konstruktiven Grundlagen: die
Prozesshandlungen sind eben Rechtsgeschäfte
Die Rechtsstellung der Parteien im Prozesse ist nicht genügend ersicht-