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unentbehrlich, und die Bestimmung seiner Tragweite für die
Beurteilung von Auslieferungsfragen grundlegend.
Die Untersuchung soll im einzelnen die Geltung der
Reziprozität für das deutsche Auslieferungsrecht innerhalb wie
ausserhalb der bestehenden Verträge nachweisen, ihren Inhalt
zu ermitteln und ihre Bedeutung als Auslegungsprinzip zu
zeigen suchen.
1. Abschnitt: Die Geltung der Reziprozität.
1. Titel. Allgemeines.
S1. Stichproben aus der Geschichte des Aus-
lieferungsrechts,
6. Der Grundsatz der Reziprozität in den Auslieferungsver-
trägen ist so alt wie diese selbst. Man kann sogar sagen, dass
er bei der Ausbreitung und Entwicklung der internationalen
Rechtshilfevereinbarungen nicht an Schärfe gewonnen, sondern
eher verloren hat. Ursprünglich war man nicht so geneigt, inter-
nationale Verpflichtungen zu übernehmen, wie heute; die Politik
bemengte sich mit Fragen, die unserem Denken nach unabhängig
von ihr und mehr nach rechtlichen Gesichtspunkten beantwortet
werden können; jedenfalls aber verstand man sich nur dann zu
Konzessionen, wenn das Aequivalent an Rechten handgreiflich
zu erkennen war. So findet sich grade in dem früheren Aus-
lieferungsrecht das Prinzip der Gegenseitigkeit besonders betont
und ausgesprochen. Wenn man einen Vertrag vereinbarte, ge-
nügte es nicht, dass man ihn mit Rücksicht auf jene Anschau-
ung ausarbeitete; es erschien weiter erforderlich, sie auch irgendwo
ausdrücklich in den Text aufzunehmen, um sich bei jeder Mei-
nungsverschiedenheit, bei jeder Auslegungsschwierigkeit auf sie
als die unumgängliche Bedingung berufen zu können.
7. Am 18. Februar 1774 war in Berlin eine Konvention zu-
stande gekommen, „welche zwischen Seiner Königlichen Majestät