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1. Ueber das Verhältnis von Eigentum und Polizei im
besonderen.
Eine sonderbare Behandlung lässt der Gerichtshof dem Falle
zu Teil werden, wo der Nachbar an seiner Handstickmaschine
von früh bis spät abends arbeitet und den Eigentümer durch
den Lärm stört. Statt die Klage einfach damit abzuweisen,
dass es sich dabei lediglich um eine nachbarrechtliche privat-
rechtliche Beziehung handelt, wird ausgeführt, dass die Polizei
nur einzuschreiten habe, wenn die Beeinträchtigungen Dritter
„über das Mass (!) dessen hinausgehen, was die Allgemeinheit,
das Publikum, und daher auch der einzelne als unvermeidliche
Folge des gesellschaftlichen Beisammenlebens der Menschen...
ertragen muss“. Die Polizei hätte lediglich — vermöge ihres
Amtes! — eine vorläufige Anordnung treffen dürfen. (Urt. v.
27. April 1901, Jahrb. Bd. 1, 8. 43 ff.)
Durch die Neuerrichtung einer verheerten Stauanlage seitens
des Rittergutspächters ist ein polizeiwidriger Zustand geschaffen
worden. Zur Beseitigung dieses Zustandes ist allein der Ur-
heber verpflichtet, nicht aber die Rittergutsherrschaft. (Urt. v.
3. August 1901, Jahrb. Bd. 1, S. 203 ff.)
Es besteht „das Interesse an einer freien und schönen Ent-
wicklung der Städte“, sodass auch dieses „ästhetische Interesse“
heutzutage in Fällen der Erschliessung neuen Baugeländes von
der Baupolizeibehörde beachtet werden muss. (Urt. v. 19. Okt.
1901, Jahrb. Bd. 1, 8. 313 ff.)
Eine eingehendere Begründung — als in dem weiter oben
erwähnten Urteil — gibt das Oberverwaltungsgericht bei einer
anderen nachbarrechtlichen Einwirkung durch Geräusch und Er-
schütterungen. „Störungen der guten Ordnung des Gemein-
wesens“ liegen darnach nur vor, wenn die nachbarrechtlichen
Beeinträchtigungen einerseits über das Mass des als notwendige
Folge des gesellschaftlichen Nebeneinanderlebens der Menschen