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einander abgesondert ihre Aeste nach Wohlgefallen treiben,
krüppelig, schief und krumm wachsen. Alle Kultur und Kunst,
welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ord-
nung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst ge-
nötigt wird, sich zu disziplinieren und so, durch abgerungene
Kunst, die Keime der Natur vollständig zu entwickeln“ ®,
Also erst in dieser Vereinigung entwickelt der Mensch seine
Naturanlagen vollständig und zweckmässig. Er muss sie auch
entwickeln, denn nach KAnr ist dies ein Prinzip der teleologi-
schen Naturlehre; doch können wir von dieser Teleologie ab-
sehen und rein induktiv die Wirkungen des Zusammenschlusses
und die Bedingungen, unter denen er aufrecht erhalten werden
kann, gewinnen.
Wir führten ja bereits aus, dass der Mensch die Natur
meistert, und dass ihm dieses nur möglich geworden ist durch
seine mit andern vereinte Tätigkeit. Zu solcher also schliessen
sich die Menschen in einem gesellschaftlichen Verbande zusammen.
In der Gemeinschaft nun leben und wirken sie nebeneinander
und vermögen in Frieden ihre Lebensgeschäfte zu betreiben.
Indem sie so selber am besten die Befriedigung dessen, was sie
bedürfen, erlangen, und indem sie selber nach aller Möglich-
keit für sich wirken und schaffen, arbeiten sie gleichzeitig für
die andern mit, fördern sie auch die Gemeinschaft und damit
wiederum die andern. Somit stehen der einzelne und die Ge-
sellschaft im innigsten Konnex miteinander; diese ist Vorbedin-
gung dafür, dass jener als Mensch leben kann; und dem einzelnen
— vice versa — ist jene Möglichkeit nur gegeben, wenn er in
einer solchen Gesellschaft lebt. Das Dasein des einzelnen be-
ruht ganz auf dem Vorhandensein einer (Gemeinschaft, der
Mensch ist somit mit Fug ein Cßov roArtıöv geworden. Ausser-
halb jener gleicht er einem losen Blatte eines Baumes im Winde.
vo I. KAnT, Idee S. 148.