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auch mehr Ausnahmen vor; denn die Regel ist, dass der einzelne
für die immensen Vorteile, die er dafür geniesst, sich an die
Rechtsvorschriften hält.
Heute gerade, mehr wie früher jemals, wird jeder Mensch
in eine Gemeinschaft hineingeboren. Er kann auch später nicht
mehr auf die Dauer gleich einem Wargus streifen, da alle be-
wohnbaren Teile der Erde von Menschengesellschaften, in der
Hauptsache Staaten, inne gehalten werden. Gibt er also die eine
(semeinschaft auch auf, so gerät er in eine andere und muss
sich dem Recht dieser fügen, deren Zwang unterwerfen.
Und er kann es auch, ohne Hintergedanken. Denn gerade
die Gesellschaft ermöglicht ihm, sein Leben als Mensch zu führen.
Für die willkürliche Freiheit, die er aufgibt — deren sich übri-
gens die Menschen durch eine Art Anpassung an das Gesell-
schaftsleben schon längst entwöhnt haben, wenn auch Rückfälle
vorkommen — für jene also erhält er die gewährleistete, die gesetz-
liche Freiheit; ein Gut, das uns beinahe selbstverständlich dünkt,
dessen wahren Wertaber nur der zu beurteilen vermag, der seinen
Blick lenkt auf die Jahrtausende, die es bis zur Erreichung
dieses Zieles gedauert hat, und auf die äusseren und inneren
Kämpfe und Mühen, die dazu notwendig gewesen sind.
In der Gemeinschaft liegt des Menschen Stärke. Dem Men-
schen ist es nur als C@ov noAttıxöv möglich geworden, der Herr
der Erde zu werden, und nur innerhalb der Gesellschaft vermag
er menschenwürdig zu leben. Da nun „ohne Staat keine Er-
füllung menschlicher Gemeinzwecke möglich ist, so ist für jeden,
der sich nicht ausserhalb der Gesellschaft stellen will, Hingabe
an den Staat sittliche Notwendigkeit“ !*, Der Staat selber hat
ohne Griff, das den mit verletzt, der es führt. Strafen ist eine empfind-
liche Bürde des Staats, und eine willkürlich zu übende Strafbefugnis ist
seiner unwürdig. Solche Selbstbelastung darf der Staat nur vornehmen
infolge erkannter Pflicht; soweit er diese Pflicht nicht auffindet, ist seine
Pflicht, nicht zu strafen.“
14 5, JELLINEK, Staatslehre S. 257.