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liches oder Gleiches findet sich auch sonst mannigfach. So über-
trägt die Reichsverfassung in Art. 35 dem Reiche z. B. die aus-
schliessliche Gesetzgebung über die Besteuerung des Ta-
baks und doch lässt sich daraus nicht folgern, dass ein Grund-
stück frei ist von der Landesgrundsteuer, weil Tabak darauf ge-
pflanzt ist, oder ein Gebäude von der Landesgebäudesteuer, weil
darin eine Tabakfabrik betrieben wird, oder ein Einkommen frei
von der Landeseinkommensteuer, weil es aus der Herstellung
oder dem Verkauf von Tabak erzielt wird. Vielmehr hat die
Verfassung nur de Sonderbesteuerung des Tabaks dem
Reiche vorbehalten wollen und vorbehalten, also den Einzelstaa-
ten nur verbieten wollen, dass sie ein Grundstück mit einer an-
deren oder höheren Grundsteuer belegen, weil Tabak darauf ge-
baut wird, oder ein Einkommen oder Gewerbe mit einer anderen
oder höheren Einkommen- oder Gewerbesteuer, weil sie vom Ta-
bak herrühren oder dessen Herstellung oder Verkauf betreffen
usw. Ist dies richtig, so muss man, um den Willen des Gesetz-
gebers richtig zu erfassen, stets sich die Situation klar machen,
welche dem Gesetzgeber vor Augen stand und welche er für die
Zukunft regeln wollte. Man sagt von den Engländern, ihnen
fehle die Gabe der Abstraktion; sie verarbeiten die Eindrücke,
die ihnen die Umwelt liefere, nie zu einheitlichen, höheren Ge-
samtvorstellungen, deshalb gerate bei ihnen nie die Wirklichkeit
in Widerspruch mit einem Gedankensystem, deshalb sind alle
ihre Gesetze der Ausfluss einer eigentümlichen, dem Abstrakten
abgewandten, der Wirklichkeit zugekehrten Veranlagung?. Soviel
muss und darf man wenigstens aus dem englischen Beispiel
entnehmen, dass, bevor man an die Interpretation eines Gesetzes
geht, man sich die konkrete Sachlage, den rechtlichen status quo
ante vorhalten und dann erst den Wortlaut ins Auge fassen muss.
Nie aber darf man dabei zu einer Auslegung gelangen, welche
? Das Budget-Privileg. des Hauses der Gemeinen, Dr. St. SUSSMANN
1909.