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schritt gegenüber der S. 105 ausdrücklich abgelehnten Theorie, wonach jede
offenbare Gesetzwidrigkeit Nichtigkeit begründet.
Das Merkmal der Individualisierungsmomente ist wohl auch nicht richtig
erfasst. Denn wir lesen S. 122 zu unserem Erstaunen, dass ein Mensch
nicht durch seinen Namen, Wohnort, Stand, Beruf u. dgl. individualisiert
werde, sondern lediglich durch seinen Geburtstag und Geburtsort: „denn
es ist physisch unmöglich, dass an demselben Punkte der Erde im gleichen
Augenblicke zwei Menschen geboren werden‘. Das würde nur stimmen,
wenn man Geburtszeit und Geburtsort bis auf die Minute und bis auf das
Bett, in welchem die Mutter entbunden hat, genau bezeichnen würde.
An einem Tag können in derselben Ortschaft doch sehr viele
Menschen geboren werden. Ob jene Individualisierung aber praktischer
wäre als die übliche, kann dahingestellt bleiben. Uebrigens dürfte nach
demselben Prinzip der Sitz des Vereines nicht Individualisierungsmoment
sein, wie S, 97 behauptet wird. Denn mehrere Vereine können denselben
Sitz haben. Nicht auf jene Angaben, welche ausschliesslich indivi-
dualisieren können, kann es ankommen, solche finden sich sehr häufig
gar nicht, sondern auf alle jene, welche im einzelnen Fall tatsächlich
individualisieren.
Die systematische Aufzählung der Fehler staatlicher Machtäusserungen
weist eine Lücke auf, welche sicherlich vermieden worden wäre, wenn der
Gegensatz des freien Ermessens zur gesetzlichen Gebundenheit die ihm ge-
bührende Würdigung gefunden hätte. Die teilweise Vermengung von
Zweckmässigkeits- und Rechtsirrtümern verhindert es nämlich, jene feine
Unterscheidung durchzuführen, welche die französische Theorie und Praxis
zwischen der blossen Inopportunität und dem „detournement de pouvoir“
machen. Das detournement de pouvoir — Umgehung des Gesetzeswillens
durch äusserlich korrekte Akte des freien Ermessens — spielt zweifel-
los auch im deutschen Verwaltungsrecht eine Rolle, wie hier nicht näher
ausgeführt werden kann. Aber wie man auch hierüber denken mag, jeden-
falls hätte dieses Problem in einem Werke über die Nichtigkeit nicht gänz-
lich ignoriert werden dürfen,
Was die Ergebnisse betrifft, zu denen der Verfasser gelangt, so kann
auf die Einzelheiten des reichhaltigen Buches unmöglich eingegangen wer-
den. Auffallend ist nur die weite Ausdehnung, welche der absoluten Un-
wirksamkeit eingeräumt wird. Als absolut unwirksam und der Vernichtung
nicht bedürftig werden z. B. alle Akte bezeichnet, welche eine „wesent-
liche“ Formvorschrift verletzen (S. 108), oder alle jene, welche an einen
Parteiantrag gebunden sind, wenn ein solcher nicht gestellt worden ist
(8. 81) usw. Diese Behauptungen dürften in ihrer Allgemeinheit doch et-
was zu weit zehen. Nur nebenbei sei bemerkt, dass an der erstgenannten
Stelle eine nähere Erklärung am Platze gewesen wäre, welche Formvor-
schriften als wesentlich betrachtet werden müssen. Besonders bedenklich