Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 25 (25)

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Das Öffentliche Recht in Ibsens Volksfeind. Von Dr. Leo 
Vossen, Rechtsanwalt am Oberlandesgericht in Düsseldorf. 
In dem im Titel genannten herrlichen Drama, in welchem Ibsen zum 
erstenmal für unbedingte Wahrheit auch im öffentlichen Leben in die 
Schranke tritt, wird uns gezeigt, welch unüberbrückbarer Zwiespalt zwischen 
den Ansprüchen der Gesamtheit gegen den einzelnen auf seine Eingliede- 
rung in das grössere Ganze und dem Recht des Einzelnen auf Behauptung 
seiner Individualität innerhalb dieses grössern Ganzen besteht: oder viel- 
mehr es wird, streng juristisch gesprochen, der niemals ganz zu lösende 
Konflikt zwischen dem sogenannten „öffentlichen Wohl“ nach seiner offi- 
ziellen Definition durch manche leitenden Männer und der Freiheit der 
Meinungsäusserung und Selbstbetätigung des einzelnen Staatsbürgers unter 
die kritische Lupe genommen. 
Zwei mächtige Gewalten sind es, gegen welche der Einzelne, der seine 
eigene Meinung und sein Recht gegenüber der Gesamtheit verfechten und 
durchsetzen will, zu kämpfen hat und im Kampf mit welchen er unter 
normalen Verhältnissen unterliegt, nämlich einmal die „kompakte Majorität“, 
d. h. die offizielle Parteischablone nach dem Willen der Parteihäuptlinge, 
und zweitens die hohe Bureaukratie, die Autorität der offiziellen Beamten, 
welche auch Menschen sind und, im Besitze der Macht, im Kontlikt mit 
dem schwächeren Einzelnen oft genug das Recht sich unter die Macht 
beugen heissen. Die „leitenden Männer“ sind es, gegen welche unser Dichter 
hier zu Felde zieht und von welchen er im vierten Akt durch den Mund 
des Dr. Stockmann erklärt, dass er sie in der Seele nicht leiden möge 
gleichviel, ob sie nun als offizielle Behördenvertreter oder als offizielle 
Parteihäuptlinge im Kampf mit den wenigen geistig Vornehmen und 
Freien die grosse Masse der Unwissenden und geistig Unreifen am Gängel- 
bande führen! 
Ueberzeugen wir uns näher, welche Taktik der Feldmarschall dieses 
Feldzugs für die Wahrheit und geistige Freiheit gegen die Lüge und gei- 
stige Beschränktheit eingeschlagen hat, so finden wir gerade auf dem Gebiete 
des Rechts ein in der Tat bewundernswertes, gewissermassen instinktives, 
feines Gefühl für den Unterschied zwischen „Recht“ und „Interesse“, 
zwischen richtig verstandenem „öffentlichem Wohl“ und fälschlich „öffent- 
liches Wohl“ genanntem finanziellen Privatinteresse einer einzelnen Ge- 
meinde; Distinktionen, welche trotz ihrer oft haarscharfen Feinheit für das 
Verhältnis zwischen Macht und Recht, zwischen Staat und Individuum von 
geradezu fundamentaler Bedeutung sind, welche aber selbst unsere 
höchsten Gerichte nur erst teilweise und in verschwindendem Masse zu er- 
fassen begonnen haben, weil diese Probleme eben trotz aller Feinheit doch 
nicht unmittelbar dem juristischen Begriffshimmel angehören, sondern über
	        
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