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jüngste Zeit hinein das Bestreben nachzuweisen, in den Auslie-
ferungsverträgen „vollständige Gegenseitigkeit“ zu erzielen. Die
Reziprozität soll also der Grundzug des deutschen Ausliefe-
rungsrechts sein.
2. Titel. Die Reziprozität im materiellen Auslieferungsrecht.
81. Die Klausel beiderseitiger Strafbarkeit.
20. Ein solch ausgesprochener Grundzug, wie ihn die Mu-
tualität für das deutsche Auslieferungsrecht darstellt, muss an
sich schon die Annahme nahe legen, dass es sich bei’ ihm nicht
um etwas rein formelles, äusserliches handeln kann, dass
vielmehr an die besondere Gestaltung der Verträge Folgerungen
für ihr inneres Gefüge zu knüpfen sein werden. Die Eigenart,
die von den Unterhändlern beabsichtigt und den Konventionen
selbst aufgeprägt ist, kann nicht ohne Einfluss auf den Inhalt
der vereinbarten Bestimmungen bleiben. Es wird möglich sein,
den Grundzug zu einem Grundsatz zu verdichten. Ueberall, wo
die Auslegung im Vertrage Raum zur Betätigung hat, wird sie
sich des Grundzuges zu erinnern haben, und man wird daher
versuchen müssen, ihn in einen Grundsatz umzuwandeln und als
solchen in eine handliche Form zu bringen, die bei der Aus-
legung seine Anwendung auf den Einzelfall gestattet. Von be-
sonderer Bedeutung wäre die Ausarbeitung einer derartigen
Interpretationsregel für das materielle Auslieferungsrecht.
Denn, wie hier für den Unterhändler die Aufgabe, Reziprozität
herzustellen, am schwierigsten lag, so ist auch grade hier die
Auslegung besonders mühsam und gefahrvoll. Ohne die Gegen-
seitigkeit als ihren Lieitgedanken wäre sie hilflos,
Im materiellen Auslieferungsrecht entsteht insofern noch
eine Verwicklung, als sich hier die Mutualität mit der Klau-
sel beiderseitiger Strafbarkeit verquickt. Unter
dieser Klausel ist eine Auslieferungsbedingung mit doppeltem