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ihrer Erwägungen und suchen auf diese Weise Umfang und Be-
griff der Reservatrechte festzustellen.
Ein Teil will dabei eine extensive Interpretation der frag-
lichen Verfassungsbestimmung zu Grunde legen. Unter diesen
ist der sächsische Minister Frhr. v. FRIESEN zu nennen, der in der
sächsischen 2. Kammer am 23. Februar 1872 seine Ansicht da-
hin entwickelte®!, dass man durch die Worte des a. 78 al. 2 ver-
sucht habe, „den Begriff der iura singulorum in einer verständ-
lichen und klaren Fassung auszusprechen“. Die Bestimmung
solle sich aber nicht nur auf die Reservatrechte beschränken,
sondern sich beziehen „auf alle diejenigen Rechte der einzelnen
Staaten, die unter den Begriff der iura singulorum fallen“. Welche
Rechte dies seien, hätte die Interpretation zu entscheiden,
jedenfalls seien als solche das Recht auf Existenz und die Stimm-
rechte der einzelnen Staaten im Bundesrate anzusehen. Mit
anderen Worten ist seine Ansicht die, dass neben den beson-
deren Rechten jedenfalls auch noch die gemeinsamen negativen
Rechte der Gliedstaaten den Schutz des a. 78 al. 2 geniessen.
Aehnlicher Ansicht scheint ROSENBERG ®® zu sein, der in
dem Rechte der Einzelstaaten auf Existenz und Gleichberech-
tigung im Bunde neben dem Schutz der Sonderrechte eine
Schranke für die Reichsgewalt sieht. Wenn schon die Zustimmung
eines Staates für eine Abänderung einzelner Art erforderlich sei,
so sei sie für die Aufhebung der gesamten Reichsverfassung erst
recht unentbehrlich.
Vielfach wird als übereinstimmend ıit FRIESEN RIEDEL ®?
genannt. Doch stimmt er mit ihm nur darin überein, dass auch
seine Interpretation des a. 78 Il sehr extensiv ist. Nach ihm
fallen nämlich auch alle diejenigen Rechte unter diesen Satz,
die in der Verfassung oder in den Verträgen besonders aner-
81 Ann. 1872, 1618 £.
82 Archiv f. öff. Recht XIV, 341 ft.
8 Komm. a. 78 Anm. 3 S. 164.
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