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ausschied. Wir können nach allem die gesamten Bestimmungen
der Schlussprotokolle nicht als Verfassungsrecht ansprechen,
sondern diese haben lediglich vertragsmässige Geltung be-
wahrt 164, Vielmehr enthält die Verfassungsurkunde, wie sie am
16. April 1871 publiziert wurde, allein verfassungsmässige Rechte
und demnach auch verfassungsmässige besondere Rechte.
Allerdings mit einer Einschränkung: Ganz selbstverständlich
ist es, dass Aenderungen der Verfassung, die auf gesetzmässigem
Wege erfolgt sind, als geltendes Verfassungsrecht zu betrachten
sind. Schwieriger ist hingegen die Frage zu entscheiden, ob Ge-
setze, die materiell die Verfassung änderten, formell aber nicht
als Verfassungsänderung erklärt wurden, wie sie im Laufe der
Jahre vielfach erlassen sind, sich als Verfassungsrecht darstellen
oder nicht. Dass sie von grosser Bedeutung für die Weiterbil-
dung der Verfassung gewesen sind, steht zweifellos fest1®, und
es hiesse bei der Systemlosigkeit, die hinsichtlich der Formen
der Verfassungsänderung im Deutschen Reich herrscht!®®, ge-
wissermassen jede Fortbildung der Verfassung negieren, wenn
man den materiellen Abänderungen derselben wegen formeller
Mängel die rechtliche Anerkennung versagen wollte. Deshalb
haben wir derartige Bestimmungen, sofern angenommen werden
kann, dass ihre Festsetzung unter Beobachtung der in Art. 78
Abs. 1 vorgeschriebenen Bedingungen erfolgte, als geltendes Ver-
fassungsrecht zu betrachten.
Abgesehen von dieser Ausnahme haben wir sämtliche Re-
servatrechte einzig und allein, soweit sie als verfassungsmässige
gelten sollen, in der Verfassungsurkunde zu suchen. Die Reservat-
klausel, die wir als ein wesentliches Erfordernis eines Reservat-
rechtes feststellten, findet sich nun in der Verfassung ausschliess-
161 Uebereinstimmend HÄNneL, Stud. I, 189, 248 £.
1622 Vgl. LABAND im Jahrbuch des öffentl. Recht I, 3 und JELLINEK, Ver-
fassungsänderung und Verfassungswandlung S. 6 f.
188 Vgl. die Bemerkungen bei HÄNnEL, StR. 383, 786 und JAGEMANN
a. a. OÖ. 237.