BB —
zu den einzelnen Auslieferungsverträgen. Immer wieder wird in
den deutschen Denkschriften von der Schwierigkeit gesprochen, für
die zahlreichen Tatbestände die geeignete Formel zu finden,
durch welche in den Verbrechenskatalog nur Delikte mit beider-
seitiger Strafbarkeit eingesetzt würden; stets wiederholen sich
Bemerkungen über die abweichenden Definitionen der nationalen
Strafgesetzbücher, die es so sehr erschwert hätten, auf beiden
Seiten übereinstimmend umschriebene strafbare Tatbestände zu
ermitteln und in einer entsprechenden Formel in den Vertrags-
text einzustellen. In dieser Beziehung lässt sich stichproben-
artig etwa folgendes auswählen. Gleich zu dem ersten Aus-
lieferungsvertrag des Deutschen Reiches, dem mit Italien von
1871, sagt bei Art. 1 Ziffer 9 eine motivierende Bemerkung *°,
man habe „zur Sicherung der Reziprozität“ das Delikt
der excitation & la debauche de personnes mineures mit dem
Zusatz versehen: dans les cas prevus simultanement par la legis-
lation des deux parties contractantes. Unter Reziprozität ist
hier zunächst nichts anderes zu verstehen, als die Klausel bei-
derseitiger Strafbarkeit, auf der dann weiterhin die Gegenseitig-
keit ruht. Aehnlich heisst es®! zudem deutsch-englischen
Auslieferungsvertrag von 1872: „Die Aufzählung der die Aus-
lieferung rechtfertigenden strafbaren Handlungen in Artikel 2
schliesst sich der... Anlage des [englischen] Auslieferungsge-
setzes an®®. Unter Nr. 1 ist conspiracy to murder ausgelassen,
weil das deutsche Strafgesetzbuch ein resultatlos gebliebenes
Komplott nicht straft, bei wirklich begangenem, oder in straf-
barer Weise versuchtem Verbrechen aber die Komplottanten als
Teilnehmer zu bestrafen sind. Das bringing into circulation
60 Siehe oben S. 47 Anm. 54.
eı Denkschrift S. 452 in den Stenographischen Berichten über die Ver-
handlungen des deutschen Reichstags, 1. Legislaturperiode, III. Session
1872, Bd. 3 Aktenstück Nr. 98.
#2 Gemeint ist der Extradition Act von 1870.