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handelten preußischen noch in der hier vorzugsweise berück-
sichtigten elsaß-lothringisch-französischen Gesetzgebung. Trotz-
dem leugnet niemand, daß die Behörden bei Anwendung des un-
mittelbaren Zwanges rechtmäßig und nicht etwa in Ueberschrei-
tung ihrer Befugnisse handeln. OTTO MAYER? sucht dies da-
durch zu erklären, daß hier Fälle vorlägen, ähnlich denen der
Notwehr und des Notstandes im bürgerlichen und Strafrecht, Fälle
also, in denen außerordentliche Ereignisse, besonders dringende
Gefahren für die öffentliche Sicherheit, auch außerordentliche Maß-
nahmen rechtfertigten. Er vergißt dabei nur. daß man gerade
nach seiner Ansicht für solche ungewöhnlichen Fälle eine be-
sondere Regelung durch das Gesetz erwarten müßte, und daß sich
nach ihr die Anwendung von Zwang praeter legem keineswegs
von selbst versteht. Er vergißt ferner, daß in dem von ihm zum
Vergleich herangezogenen bürgerlichen und auch im Straf-
recht die außerordentlichen Maßnahmen der Selbsthilfe eine ver-
hältnismäßig sehr genaue und eingehende Regelung gefunden
haben (BGB. 226 ff. StGB. 8 53/54). Weshalb gibt es keine
solche allgemeine Regelung für das Verwaltungsrecht?
Näher kommt der hier vertretenen Auffassung RosIn, der
den Verwaltungszwang überhaupt — ohne Beschränkung auf den
unmittelbaren — sich auf Gewohnheitsrecht aufbauen läßt. Der
Ausdruck „Gewohnheitsrecht“ scheint mir das, was hier vorliegt,
nicht ganz zu treffen; er erweckt immer noch zu sehr den An-
schein, als sei die staatliche Zwangsgewalt durch irgendeine
Rechtsentwickelung geschaffen, und scheint mir nicht ge-
nügend zu berücksichtigen, daß hier eine reale Gewalt vor-
liegt, die — genau wie im Polizeistaat — frei wirken kann, ge-
5 OTTO MAYER I. S. 348 ff.:
® Rosın, Polizeiverordnungsrecht in Preußen S. 20 Note 28; ebenso die
Darstellung von AnscHÜUTz, Das Recht des Verwaltungszwangs in Preußen,
Verwaltungsarchiv I. 398 fl.; auch GneEisT in HOLTZENDORFFs Rechtslexikon
III. 2, 1106.