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Der innere Widerspruch im System der herrschenden Lehr-
meinung wird nicht wenig durch die übliche Auffassung verstärkt,
die man in der Frage der Kompetenzhoheit vertritt und
mit den Anschauungen von der Parität der Reichs- und Landes-
gesetzgebung der daraus folgenden gegenseitigen Derogierbar-
keit und der Möglichkeit eines Kompetenzkonfliktes zwischen bei-
den verbinden zu können glaubt. Man ist nämlich nicht selten
geneigt, eine Kompetenzhoheit der Reichsgesetzgebung anzuneh-
men. So erklärt z. B. JELLINEK ausdrücklich. daß „die Rechts-
macht über die Kompetenz nur der Reichsgesetzgebung zusteht“ 1°,
Andere Autoren sprechen diese Ansicht nicht so unumwunden
aus, gehen aber bei ihren Argumentationen von dieser oder
doch einer ähnlichen Voraussetzung, irgendeiner Vorzugsstellung
der Reichsgesetzgebung in Frage der Kompetenzhoheit aus!!.
Daß die Annahme der Kompetenzhoheit der Reichsgesetz-
gebung unvereinbar ist mit der Vorstellung von der Parität
beider Gesetze und der Geltung des Interpretationsprinzipes lex
posterior derogat priori erhellt auf den ersten Blick. Wenn ein
Reichsgesetz einem Landesgesetz widerspricht, so bedeutet das eine
Ausdehnung der Reichskompetenz auf Kosten der Landeskompe-
tenz. Hat das Reich die Kompetenzhoheit und nicht die Länder,
so tritt das Landesgesetz zurück, nicht weil es das ältere ist, son-
dern weil die Landesgesetzgebung ihre Kompetenz verloren hat,
die die Voraussetzung für die Gültigkeit des Landesgesetzes war.
Das gleiche ist auch dann der Fall, wenn das Landesgesetz das
Jüngereist. Denn wenn das Reich und nicht das Land
die Fähigkeit hat, seine Kompetenz auszudehnen, dann ist jedes
Landesgesetz, das seine Kompetenz auf Kosten des Reiches aus-
dehnt, eben mangels der rechtlichen Basis ungültig und nicht,
weil ihm ein Reichsgesetz entgegenstehit. Wenn man es mit
Rücksicht darauf, daß es jünger ist als ein Reichsgesetz, für
A.a.0. 8.28.
ı Vgl. dazu Weyrk, Rahmengesetze, Wien 1913 S. 20.