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gültig, dieses aber dadurch für derogiert erklärt, so muß man
eben auch dem Land die Fähigkeit zusprechen, seine Kompetenz
auszudehnen (was nur auf Kosten des Reiches möglich ist!). Die
Geltung der Regel lex posterior derogat priori im Verhältnis zur
Reichs- und Landesgesetzgebung setzte — falls sie überhaupt im
Verhältnis zwischen Reichs- und Landesgesetzgebung zur Anwen-
dung kommen könnte, und es sich dabei um zwei verschiedene norm-
setzende Autoritäten handelte — offenbar voraus, daß Reich und
Land Kompetenzhoheit haben. Merkwürdigerweise ist diese Auf-
fassung bis vor kurzem überhaupt nicht vertreten worden. Erst
WEYR hat sie klar und deutlich in seiner Arbeit über „Rahmen-
gesetze“ !? ausgesprochen.
Bevor nun im folgenden eine Ueberprüfung des Verhältnisses
zwischen Reichs- und Landesgesetzgebung versucht werden soll,
wird es sich empfehlen, die allgemeinen Prinzipien klarzustellen,
nach denen sich die juristische Beurteilung zu orientieren hat.
82. Die allgemeinen Prinzipien der Normkon-
kurrenz.
Vor allem ist das Wesen der Interpretationsregel: lex poste-
rior derogat priori zu untersuchen. Daß eine jüngere Norm eine
ältere, mit der sie inhaltlich im Widerspruch steht, aufhebt
und nunmehr an ihrer Stelle ein bestimmtes Verhalten als ge-
sollt statuiert, das gilt als rechtslogisches Prin-
zip natürlich nur innerhalb eines einheitlichen Normen-
systems. Innerhalb desselben Normensystems stellt der Grundsatz,
demzufolge die jüngere Norm die ältere inhaltlich widersprechende
aufhebt, den Regulator dar, durch den die logische Geschlossen-
heit des Normsystems — dieses Grundpostulat aller Normerkennt-
nis — stetig aufrecht erhalten wird. Innerhalb desselben Norm-
systems können zwei Normen, von denen die eine den Inhalt a,
2 A.2.0. 8.20.