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petent anerkannt hat, bedeutet das, daß man den Befehl dieser
und keiner anderen Autorität in dieser Sache für verbindlich an-
sieht. Mit der Voraussetzung, daß eine bestimmte Autorität für
eine bestimmte Angelegenheit kompetent ist, ist logisch unverein-
bar, daß die Norm dieser Autorität durch die Norm einer anderen
aufgehoben werde. Zwei Autoritäten sind für den-
selben Geltungsbereich ebenso unvereinbar,
wie zwei Körperin demselben Raume. Wie die kör-
perliche Welt des Seins, hat auch die geistige Welt des Sollens
ihr Gesetz der Undurchdringlichkeit. Wenn ich die Norm der
einen Autorität durch die Norm einer anderen Autorität für auf-
gehoben ansehe, bedeutet das einfach, daß ich die erstere Auto-
rıtät negiere und die zweite an ihre Stelle setze. Auch wenn die
siegreiche Norm die jüngere ist, ist in diesem Falle der Inter-
pretationsgrundsatz lex posterior derogat priori nicht zur An-
wendung gelangt; denn dieser sagt bloß, daß die jüngere Norm
der älteren Norm ein und derselben Autorität voran-
geht. Bei inhaltlich sich widersprechenden Normen derselben Au-
torität ist der Geltungsgrund der älteren und der jüngeren Norm
identisch: denn dieser Geltungsgrund ist nichts anderes als die
Autorität selbst. Auf die Frage: Warum soll eine Norm beob-
achtet werden, kann als letzte Antwort nur erfolgen: weil die
Norm von einer bestimmten Autorität herrührt, die als oberste
vorausgesetzt wird. Daß die jüngere Norm der älteren vorangeht,
das folgt ja geradezu aus der Identität der Autorität beider sich
widersprechender Normen. Sehe ich aber die Norm der einen
Autorität durch die einer anderen für aufgehoben an, dann ist es
nicht derselbe Geltungsgrund, sondern zwei verschiedene, mit-
einander unvereinbare Geltungsgründe, durch die die jüngere und die
ältere Norm gerechtfertigt werden, d.h. die Verdrängung der älteren
Norm durch eine jüngere geht nicht mehr aus dem Geltungs-
grunde der zu verdrängenden Norm selbst hervor, die ältere Norm
rechtfertigt nicht mehr selbst ihre eigene Aufhebung. Es liegt
Archiv des öffentlichen Rechte. XXXII. 1/2. 14