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der geltenden Ordnung zukomnien etc. Es ist Rechtsanwen-
dung, Anwendung gegebener Rechtssätze auf konkrete Tatbestände.
Bei der zweiten Art juristischer Erkenntnisse hat man es
nicht mit realen Tatbeständen und Rechtsnormen, resp. dem
Verhältnis der letzteren zu den ersteren zu tun, sondern ausschließ-
lich und allein mit den Rechtsnormen. So .wenn man die auf
einen bestimmten Gegenstand sich beziehenden Normen aufsucht
und in ein System bringt, wenn man ohne Rücksicht auf einen
konkreten Tatbestand und dessen Beurteilung feststellt, was nach
irgend einer Richtung hin Rechtens ist, d. h. welche Normen in
Geltung stehen. Wenn man das System des französischen Privat-
rechtes oder des österreichischen Verwaltungsrechtes darstellt oder
die Grundbegriffe zu gewinnen sucht, mit deren Hilfe ein spe-
zielles Rechtssystem oder die Rechtsordnungen überhaupt zu be-
greifen sind. Es ist nicht, wie im ersten Falle, Rechtspraxis, son-
dern Rechtstheorie, und das Verhältnis beider gleicht noch am
meisten dem zwischen den theoretischen Naturwissenschaften und
der Technik.
Das Objekt rechtstheoretischer Erkenntnis sind BRechts-
normen und nichts als Rechtsnormen. Diese Wahrheit muß
ausdrücklichst eingangs der Behandlung eines Problems hervorge-
hoben werden, dessen rechtstheoretische Lösung man für
gewöhnlich nicht bloß, ja nicht so sehr aus den geltenden Rechts-
normen, als vielmehr aus gewissen historisch-politischen Tatbe-
ständen zu gewinnen sucht. Es ist das Verhältnis von Reichs-
gesetz und Landesgesetz innerhalb der österreichischen Verfassung.
Die Frage ist gerichtet auf das Verhältnis bestimmter Normarten
zueinander, und die Antwort kann — wenn sie methodisch ein-
wandfrei sein soll — nur aus diesen oder anderen mit ihnen in
Beziehung stehenden Normen gewonnen werden.
Alle juristische Konstruktion muß von bestimmten Normen
als gültigen Rechtssätzen ausgehen. Ob es sich dabei um die Be-
urteilung konkreter Tatbestände oder bestimmter Normen selbst