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gangspunkt gemacht, von dem aus die Beurteilung der heute
geltenden Verfassung im allgemeinen und die Lösung des speziellen
Problems: Verhältnis von Reichs- und Landesgesetz erfolgt. Geht
man von der Voraussetzung aus, daß Oesterreich im Jahre 1860
eine absolute Monarchie war, d. h. daß nur die einseitig durch
den Monarchen erlassenen Gesetze rechtsgültig waren, daß daher
durch einseitige Norm des absoluten Monarchen alles geregelt
werden konnte, muß man auch die Möglichkeit anerkennen, durch
eine solche Norm des absoluten Monarchen neue Rechtssetzungs-
organe zu schaffen und deren Kompetenz zu bestimmen. Durch
Norm des absoluten Monarchen kann bestimmt werden, daß in
Zukunft als rechtsgültige Normen nur mehr die durch eine Volks-
vertretung oder von ihm in Verbindung mit einer solchen erlas-
senen Gesetze angesehen werden sollen. und ähnliches. Wird der
Kompetenz dieser neuen normsetzenden Autorität keine Grenze ge-
zogen, dann ist ihr die Kompetenzhoheit übertragen. Zumindest
materiell. Denn formell könnte man ja noch immer die neue
normsetzende Autorität als Delegaten des absoluten Monarchen
ansehen und diesem letztlich alle Normen des neuen Gesetz-
gebers zurechnen. Bei einer in Form Rechtens durch den abso-
lJuten Monarchen gewährten konstitutionellen Verfassung kann
man eben aus dieser formalen Erwägung heraus, nach wie vor den
Monarchen als alleinigen Gesetzgeber ansehen. Allein aus dem-
selben Grunde, weshalb man nicht nach einer weiteren Legitimation
des absoluten Monarchen zur Gesetzgebung fragt (die Berufung
auf Gottes Gnaden ist zumindest keine juristische Rechtfertigung,
entspricht aber zweifellos einem solchen Rechtfertigungsbedürfnis),
kann man auch dem konstitutionellen Gesetzgeber gegenüber auf
eine Zurückführung seiner Gesetzgebungskompetenz auf den ab-
soluten Monarchen faktisch verzichten, d. h. man kann das
Parlament, sei es allein, sei es in Verbindung mit dem Monarchen
ohne Rücksicht auf ein delegierendes Gesetz aus vorkonstitutio-
neller Zeit, als oberste normsetzende Autorität voraussetzen.