— 21 —
Gesetze zu geben. Unter den Gesetzen, die er bisher geben
konnte, können aber nur materielle zu verstehen sein, d. h. eben
schlechtweg Rechtsnormen, da der Begriff des formellen Gesetzes
erst durch die Schaffung der Konstitution möglich wurde. Zwei-
tens wäre es eine leere Tautologie, wenn der Monarch versprechen
würde, in Hinkunft formelle Gesetze, d. h. sanktionierte Parla-
mentsbeschlüsse nur in Verbindung mit den Parlamenten zu geben,
d. h. sanktionieren zu wollen. Schließlich geht die Absicht, die
Rechtsnormierung gänzlich und restlos in die konstitutionelle Form
zu kleiden, auch daraus hervor, daß im Abs. III nach Aufzählung
der Kompetenzen des Reichsrates „alle anderen Gegen-
stände der Gesetzgebung, welche in den vorhergehenden
Punkten nicht enthalten sind“, den Landtagen zugewiesen werden.
Die Interpretation des Wortes „Gesetzgebung“ im formellen Sinne
wäre in diesem Zusammenhange nur dann möglich (und nur dann
könnte behauptet werden, daß nicht alle Rechtsnormierung in
konstitutioneller Form zu erfolgen habe), wenn das Oktoberdiplom
die „Gegenstände einer formellen Gesetzgebung“ irgendwie von
denen einer bloß materiellen Gesetzgebung, einer dem Monarchen
reservierten Verordnungsgewalt abgegrenzt hätte, oder eine solche
Grenze als irgendwo gegeben hätte voraussetzen können. Das ist
aber keineswegs der Fall. Das Oktoberdiplom hat das oberste
konstitutionelle Prinzip: jede Rechtsnorm hat in Form des Ge-
setzes (als formelles Gesetz) zu erscheinen, rein zum Ausdruck
gebracht.
Zwischen Reichsrat und Landtagen (beide in Verbindung mit
dem Monarchen) ist die gesamte gesetzgebende Gewalt aufgeteilt.
Wie verhält sich aber die Reichsgesetzgebung zur Landesgesetz-
gebung nach den Bestimmungen des Oktoberdiploms? Auf den
ersten Anblick könnte es den Anschein haben, als ob die Reichs-
gesetzgebung nur als Delegat der Landesgesetzgebungen gedacht
gewesen wäre. An erster Stelle erklärt der Monarch sein Gesetz-
gebungsrecht mit den Landtagen teilen zu wollen und nur an