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nämlich nach russischem Recht der Begriff der Freiheitsentziehung
nicht nur Untersuchungshaft, sondern auch Strafvollzugshaft, wie
Gefängnis u. dgl. in sich faßt. Ob „Freiheitsentziehung“ die In-
angriffnahme der Strafvollstreckung berührt oder nicht, ist völlig
irrelevant, denn Art. 16 spricht nur von einer Tatsache,
aber nieht voneinerInangriffnahme — mit andern
Worten, die Frage dreht sich nicht darum, wann und unter wel-
chen Bedingungen ein rechtskräftiges Urteil der Vollstreckung
unterliege, sondern ob ein Abgeordneter während der Sitzungs-
periode und ohne Genehmigung der Duma einer Freiheitsentziehung
als einer Strafe unterworfen werden könne oder nicht. Wenn da-
her bewiesen wurde, daß „Freiheitsentziehung“ nach der Termino-
logie der russischen Gesetze nur Untersuchungs- oder eine ihr
analoge Haft bedeutet, so schwände jeder Zweifel ob des Um-
fanges des Art. 16. Solange dieses nicht geschehen ist, muß man
sich mit dem Zugeständnis begnügen, daß der buchstäbliche Sinn
des Art. 16 keine genügende Handhabe zur endgültigen Lösung
der Frage bietet.
Das zweite Argument besteht in folgendem. Aus der allge-
meinen Regel von der Notwendigkeit der Einholung der vorhe-
rigen Genehmigung der Reichsduma setzt Art. 16 zwei Ausnahmen
fest: erstens, im Falle ein Abgeordneter auf dem in Art. 22 des
Reichsdumastatutes angegebenen Wege zur Verantwortung ge-
zogen wird, und zweitens die Ergreifung des Schuldigen auf frischer
Tat oder im Laufe des nächstfolgenden Tages. Der Senat findet
nun, daß diese beiden Ausnahmen sich auf die Zeit der Unter-
suchung der Sache, und zwar deren Beginn beziehen, daher sei es
nur folgerichtig zu schließen, daß die Regel selbst, aus der diese
Ausnahmen statuiert werden, sich auch nur auf diesen Zeitab-
schnitt bezieht.
Eine gewisse Bedeutung läßt sich diesem Argument, zu dem
auch in Westeuropa bei der Interpretation diesbezüglicher Ver-