— 261 —
fassungsparagraphen häufig gegriffen wird”, nicht absprechen,
denn eine indirekte Bestätigung der restriktiven Bedeutung des
Ausdrucks Freiheitsentziehung liegt in ibm; jedoch ein direkter
Beweis davon, daß Art. 16 nicht alle Arten der Freiheitsentziehung,
darunter auch der Freiheitsentziehung als Strafe, umfasse, läßt sich
in ihm nicht erblicken. Der Senat begnügte sich damit nicht und
vermeinte zu theoretischen Argumenten greifen zu müssen. Als
solches stellte er den Unterschied in der Stellung eines Ange-
schuldigten und eines Verurteilten hin. „Zweck der Untersuchung
einer Strafsache, lesen wir in der Entscheidung vom 10. No-
vember, ist Sammlung aller die Sache betreffenden notwendigen
Materialien durch Vernehmung der Verdächtigen usw. Folglich
wird Freiheitsentziehung während der Untersuchung einer Sache,
solange diese Materialien noch nicht gesammelt und geprüft sind,
immer nur auf einer mehr oder weniger begründeten Voraus-
setzung der Schuld des Angeschuldigten basiert sein. Diese Vor-
aussetzung gewinnt den Charakter der Wahrscheinlichkeit, wenn
die gerichtliche Untersuchung stattgefunden hat und auf Grund-
lage dieser eine Verurteilung erfolgt ist. Nun kann aber die
Schuld des Verurteilten bezweifelt werden, solange gegen das Ur-
teil Appellation möglich ist. Erst wenn das Urteil inappellabel,
resp. nicht mehr appellabel, ist, d. h. dagegen keinerlei Rechts-
mittel eingelext werden können und es Rechtskraft erlangt hat,
läßt sich sagen, daß die Schuld des Verurteilten endgültig und
unbestritten feststeht, res judicata pro veritate habetur. Also läßt
sich daraus, daß nach Art. 16 des Reichsdumastatutes die vor-
herige Genehmigung der Reichsduma zur Entziehung der Freiheit
eines ihrer Glieder während der Sitzungsperiode erforderlich ist,
der Schluß nicht ziehen, daß eine solche Genehmigung auch dann
notwendig sei, wenn an einem Reichsdumamitgliede ein Urteil, das
Rechtskraft geworden, zur Vollstreckung gelangt, und zwar um so
?ı Vgl. z. B. LABAnD, Staatsrecht des Deutschen Reichs, V. Aufl, B.1I,
S. 358.