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mehr, als der Urteilsspruch die Bedeutung eines Spezialgesetzes
in der gegebenen Sache hat und somit ein jeder Eingriff in die-
sennı Prozeßstadium von seiten einer abseits stehenden, nicht-
richterlichen Gewalt einen offenen Bruch mit dem Grundsatze der
Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Gerichtes vorstellen würde.“
Soweit diese Erwägungen den Unterschied in der Stellung
eines Angeschuldigten und eines Verurteilten zum Vorwurfe haben,
sind sie an sich vollkommen richtig; aus ihnen folgt aber nicht,
daß das Institut der außerberuflichen Immunität nicht auch auf
die Gerichtsurteile einwirken könnte, indem es deren Vollstreckung
bis zur Beendigung der Session hinausschiebt. Dadurch würde die
Unabhängigkeit und Selbständigkeit der richterlichen Gewalt nicht
mehr einbüßen, als im Falle des Aufschubes der Vollstreckung
eines vom Untersuchungsrichter erlassenen Haftbefehls; der Ge-
setzgeber kann sich von Erwägungen leiten lassen, die die In-
teressen der Volksvertretung höher stellen als die der Recht-
sprechung. Somit handelt es sich bei dieser Frage nur darum,
inwieweit es dem Geiste des Instituts der außerberuflichen Im-
munität und dem von ihm verfolgten Zwecke entspricht, die
Genehmigung der Reichsduma zur Vollstreckung eines Urteils
zu fordern oder nicht. Die außerberufliche Immunität ist ge-
schaffen zum Schutze vor tendenziösen Verfolgungen, sie kann
daher einen Abgeordneten vor den Folgen eines richterlichen Ur-
teils nicht schützen; nur ein kategorischer Hinweis im Gesetze
selbst macht eine andere Entscheidung dieser Frage möglich.
Diese Erwägungen begründen die Auslegung des fraglichen
Artikels. Art. 16 umfaßt bedingungslos nur die Art, resp. die
Arten der Freiheitsentziehung, die während des Verfahrens vor
der Verkündung des Urteils stattfinden. Es versteht sich hierbei
2? A. M. ist Rosın, Die Ehrenverletzung (russisch), Tomsk 1911, S. 349,
Anm. 1. Er findet, daß die oben angeführte Senatserläuterung „keinen
Stützpunkt findet weder am buchstäblichen Sinne des Art. 16, noch an den
Abschnitten der russischen Gesetze, die von der Freiheitsentziehung han-
deln, und dabei einen Unterschied zwischen der Untersuchungshaft und