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von selbst, daß eine Freiheitsentziehung, die vor Beginn der Ses-
sion ihren Anfang genommen hat, in keinem Falle durch Be-
schluß der Reichsduma unterbrochen werden kann; diese Modalität
der Immunität, die von den auf dem belgisch-französischen Stand-
punkte stehenden Staaten anerkannt wird, ist der russischen Ge-
setzgebung fremd.
V.
Wenn auch die „Freiheitsentziehung“* ın Art. 16 nur auf die
der Urteilsverkündung vorhergehenden Prozeßstadien bezogen wer-
den kann, so umfaßt dieser Begriff doch alle Arten der Freiheits-
entziehung, einerlei, welchen Ausdruck das Gesetz im einzelnen
Falle gebraucht: Bestimmungen, die die Freiheit der Persönlich-
keit garantieren, unterliegen nach der allgemeinen Regel nicht
restriktiver Interpretation. Aber es muß sich eben um Ent-
ziehung der Freiheit handeln, und nicht um ihre Beschränkung,
denn letztere fällt unter Art. 15, ist also, wenn von der admini-
strativen Gewalt ausgehend, überhaupt unzulässig, und bedarf im
Falle ihrer Anordnung von seiten der richterlichen Gewalt als
Mittel der Beweissicherung der vorherigen Genehmigung der Reichs-
duma nicht.
Da in praxi das Verhältnis der beiden Artikel (15 und 16)
zueinander nicht richtig verstanden wurde, ist es häufig zu Miß-
verständnissen inbezug auf den Inhalt des Begriffes der Freiheits-
entziehung gekommen. So rief die Verfügung der Staatsanwalt-
der Strafvollzugshaft nicht machen“. Dieses ist an sich richtig; nichts-
destoweniger hat der Senat vom Standpunkte der ratio legis Recht.
Derselben Meinung, wie Rosın, ist FOINITZKY, Kursus des Strafprozesses
russ.), B. II. 3. Aufl., 1910, S. 304. Er geht davon aus, daß „der Schutz
vor einer Verhaftung zum Zwecke hat, der gesetzgebenden Versammlung
die Möglichkeit zu geben, über die Arbeit des Abgeordneten frei verfügen
zu können‘. Den richtigen Standpunkt nimmt ein v. RAıson, loc. cit., 164 f.
Die übrigen Forscher (LASAREWSKY, GRIBOWSKY, IWANOWSKY, JELI-
STRATOFF) übergehen die Frage mit völligem Schweigen.