Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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Durchschnittsrichters hat mit der Auffassung des Volks über Treu und 
Glauben, gute Sitten u. dgl. eine große Verwandtschaft. Mit Recht, inso- 
fern es sich hier nicht um neu entdeckte Normen handelt. Schon längst 
hat man die Regel aufgestellt, die Gesetze seien anzuwenden so wie sie 
verstanden werden, nicht wie der Gesetzgeber sie sich gedacht hat (ScHLE- 
SINGER in den Götting. Gelehrten Anzeigen 1864 S. 1974; BıinpDinG, Hand- 
buch des Strafrechts I 1885 S. 456 f.; KRAUS in Grünhuts Ztschr. Bd. 32 
S. 621). Der Leitsatz des Verfassers ist also im Grunde nur eine schärfere 
Ausprägung und Begrenzung jenes alten Gedankens. Auch nützt dem 
Verf. wenig die Behauptung, sein empirischer Typus des normalen Rich- 
ters sei etwas ganz anderes als der „Gesetzgeber“, dessen Willen man bei 
der Gesetzesauslegung zu Hilfe nehme (S. 79). Vielmehr besteht Wesens- 
verwandtschaft zwischen den beiden Typen, nur daß man sich das eine Mal 
die aus dem Charakter des Gesetzes zu erschließende wahrscheinlichste 
Gestalt des Gesetzesverfassers konstruiert, im andern Falle die nach 
den Zeitumständen wahrscheinlichste Gestalt des Gesetzesauslegers. 
Denn bei Unmöglichkeit der Annahme eines physischen Gesetzgebers ist 
der Gesetzgeber, richtig verstanden, die Konstruktion eines Menschen. dem 
man die Urheberschaft des Gesetzes zutraut; ihn frägt man in Gedanken 
bei zweifelhaften Fällen, und seine Antwort bildet die Grundlage der Ent- 
scheidung. Endlich ist recht bedenklich, was Verf. von der Rechtslehre in 
ihrem Verhältnis zur Rechtspraxis behauptet (S. 61). „Die Auslegung eines 
Rechtssatzes durch die Rechtslehre und seine ‚Auslegung‘ durch den Rich- 
ter sind wesentlich verschiedene Dinge.* Nein, die beiden Tätigkeiten sind 
genau die gleichen. Denn wenn wirklich das Gesetz auf den Typus des 
normalen Richters verweist, dann ist es Aufgabe der Rechtslehre, die Ver- 
weisung zu berücksichtigen. Im übrigen hat der Richter nur die Ermitt- 
lung des Tatbestands vor dem Rechtslehrer voraus. 
Wie üblich beschränkt sich Verf. auf die Darstellung des Justiz- 
rechts. Ihm allein sind auch die praktischen Beispiele entlehnt. Be- 
sonderen Eindruck hat auf Verf. die Rechtsprechung des Reichsgerichts 
über die Haftpflicht des Grundbuchrichters gemacht, der von einer Rechts- 
anschauung des Reichsgerichts abweicht (8. 118 f.).. Daraus folgert Verf. 
die Geltung seines Leitsatzes in der Praxis. Der Schluß ist aber nicht 
zwingend. Zu den tatsächlichen dem einzelnen drohenden gesellschaft- 
lichen Schäden gehört auch eine ungünstige richterliche Entscheidung. 
Wenn daher der Grundbuchbeamte jemand durch Mißachtung der Recht- 
sprechung schädigt, so haftet er selbstverständlich für den so von ihm 
verursachten tatsächlichen Schaden, ohne daß daraus irgend etwas für die 
Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Gesetzesanwendung gefolgert werden 
darf. Reicher wäre die Ausbeute im Verwaltungsrecht gewesen. Hier hat 
sich in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ganz allmählich und 
unbewußt die Anschauung entwickelt, daß auch beim echtesten freien Er-
	        
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