— 308 —
eine „außerrechtliche“ sein, andererseits hat die Untersuchungsart des Verf.
eine wesentliche Eigentümlichkeit: sie verwendet nicht feststehende Be-
griffe, um aus ihnen rein logisch rechtliche Grundsätze abzuleiten, sondern
sie entnimmt und konstruiert Begriffe gleichzeitig mit den rechtlichen Ge-
danken, die in ihnen sich konzentrieren, aus der Gestaltung der lebendigen
Tatsächlichkeit.
Das Werk von W. JELLINEK zerfällt in zwei ganz verschiedene Teile,
einen allgemeinen und einen speziellen, der durch Anwendung auf ein
besonderes Rechtsgebiet die Ergebnisse des ersteren erläutern soll.
„Das große Freiheitsproblem des öffentlichen Rechts“, das Verhältnis
der Justiz und der Verwaltung zum Rechtssatz läßt dem Verf. eine Be-
trachtung des Gesetzes unter zwei Gesichtspunkten erforderlich erscheinen :
einmal dem der bebördlichen Freiheit, sodann dem der Notwendigkeit und
Zweckmäßigkeit. Indem er in einem ersten Kapitel das Wesen des Gesetzes
untersucht, beobachtet er zunächst die Beziehungen zwischen dem Gesetz
und der rein tatsächlichen Wirklichkeit; er findet Tatsachen, denen eine
Rechtssatzwirkung zukommt und zwar entweder in abgeleiteter Weise
(z.B. die Tatsachen der Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II. und der
sich daran knüpfenden Erregung der öffentlichen Meinung lassen auf sie
anspielende Theaterstücke als Gefährdungen der öffentlichen Ordnung er-
scheinen; der „Ortsüblichkeit“ wird m.E. mit Recht daher der Charakter
eines durch Tatsachen gebildeten Rechtssatzes gegeben) oder in ursprüng-
licher Weise (Raum und Zeit gehören hierher, in gewissem Maße ist alle
Wirklichkeit eine dem Gesetze ebenbürtige Rechtsquelle, ebenso aber auch
Wissenschaft und praktische Rechtsanwendung). Er sieht sodann das Gesetz
als edanken und zwar als einen Gedanken, der mit der Fähigkeit aus-
gestattet ist, in einer gewissen Weise zu wirken, der deshalb Gedanke und
Handlung zugleich ist. Diese Handlung ist für das Staatsorgan ein Befehl.
Der Gedanke, als der sich das Gesetz darstellt, kann sich aber in verschie-
dener Weise geben. Entweder das Gesetz spricht ihn selbst aus, dann wird
sein genauer Sinn durch Gesetzesauslegung bestimmt. Oder der Gesetz-
geber ist unschlüssig und richtet eine Frage, die zu beantworten ist. Die
Kasuistik dieser Betrachtung, wie die Unschlüssigkeit eines Gesetzes sich
im Rechtsleben als eine Frage darstellt und wie und wodurch diese Fragen
beantwortet werden, erscheint mir als der amüsanteste Teil des Werkes.
Da zeigt J., wie die Frage durch ein staatliches Organ beantwortet wird
(Verordnung) oder durch die Wissenschaft (Sätze der Logik, der Mathe-
matik z.B. im Wahlrecht, der Naturwissenschaft z. B. in Fragen der Nah-
rungsmittelfälschung), durch gesellschaftliche Anschauungen (Bedeutung der
roten Fahne), ästhetische und ethische Werturteile (Verunstaltung land-
schaftlich hervorragender Gegenden, Treu und Glauben) und die hierzu-
gehörenden praktischen Werte, wie öffentliches und privates Interesse,
Billigkeit, Ordnung, Zweck, Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit, deren Beur-